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28. Mai 2025

Schaltzentrale mit Präzision: Wie das Gehirn Bewegungen ermöglicht und unterdrückt

Nervenzellen im Gehirn geben Bewegungen nicht nur frei, sondern unterdrücken sie auch gezielt – und das mit erstaunlicher Präzision. Dies zeigt eine neue Studie der Forschungsgruppe um Prof. Silvia Arber am Biozentrum der Universität Basel und am Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research (FMI), veröffentlicht in der Fachzeitschrift «Nature». Besonders relevant ist das, um Erkrankungen des Nervensystems wie Parkinson besser zu verstehen.

SNr-Neuronen im Mittelhirn senden präzise Signale zur Steuerung von Bewegung. Ihre Aktivität entscheidet, welche motorischen Abläufe gestartet oder gestoppt werden.

SNr-Neuronen im Mittelhirn senden präzise Signale zur Steuerung von Bewegung. Ihre Aktivität entscheidet, welche motorischen Abläufe gestartet oder gestoppt werden.

Mit der Hand nach einem Apfel greifen, einen Löffel zum Mund führen – hinter für uns meist einfachen Bewegungen stecken hochkomplexe Hirnprozesse. Eine zentrale Rolle spielt dabei eine tief im Inneren des Gehirns gelegene Region, die sogenannten Basalganglien. Lange galt deren Ausgangssignal vor allem als eine Art Bremse, die unerwünschtes Verhalten unterdrückt. Forschende um Prof. Dr. Silvia Arber am Biozentrum der Universität Basel und am Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research (FMI) konnte nun zeigen, dass bestimmte Nervenzellen in den Basalganglien hochpräzise entscheiden, wann welche spezifische Bewegung eines Verhaltens freigegeben oder aktiv gestoppt wird.

Basalganglien: Nicht nur Bremse, sondern Schaltzentrale

Diese Erkenntnisse stellen das bisherige Modell zur Funktion der Basalganglien infrage. Demnach steuern die Basalganglien Bewegungen, indem sie motorische Zentren im Gehirn dauerhaft hemmen und nur kurzfristig «loslassen», nämlich dann, wenn Bewegung erlaubt werden soll. «Doch bei komplexen Bewegungen, wie sie beim Bewegungsablauf von Armen und Händen geschehen, greift dieses Modell bei Weitem zu kurz», so Arber.

Im Fokus der Studie steht die sogenannte «Substantia Nigra pars reticulata» (SNr), der Hauptausgang der Basalganglien, der Signale an motorische Zentren des Hirnstamms sendet. Die überraschende Beobachtung der Forschenden: Die dortigen Nervenzellen feuern nicht nur zur Hemmung. Stattdessen zeigen sie höchst dynamische Aktivitätsmuster – mit präzise getimten Phasen, je nachdem, welche Bewegung gerade ausgeführt wird.

Viele Nervenzellen wechseln dabei im komplexen Bewegungsablauf mehrfach zwischen Aktivierung und Pause. Der Ausgang der Basalganglien wirkt dabei wie ein fein getaktetes System mit vielen Ampeln an einer komplexen Kreuzung: Jede Ampel schaltet bei einer bestimmten Bewegung gezielt auf Grün und bei anderen auf Rot – abhängig davon, welche Handlung gerade geplant ist. Somit können komplexe Abläufe aus einzelnen Bewegungen zusammengesetzt werden, je nachdem welche Ampeln wann auf grün oder rot geschaltet werden.

Bewegungen im Detail gesteuert

Um diese Prozesse zu untersuchen, zeichneten zwei Doktoranden von Arber die Hirnaktivität von Mäusen auf, die mit ihren Pfoten gezielt nach Futterpellets griffen. Dabei zeigte sich, dass einzelne SNr-Nervenzellen sehr unterschiedlich während der verschiedenen Bewegungsphasen reagierten: Spezifisch beim Ausstrecken der Vorderbeine, beim Greifen oder beim Zurückziehen der Pfoten erhöhten manche ihre Aktivität, während andere pausierten. «Es ist erstaunlich, wie fein abgestimmt diese Signale sind», sagen Antonio Falasconi und Harsh Kanodia, die zwei Erstautoren der Studie. «Manche Nervenzellen sind nur bei bestimmten Teilbewegungen aktiv und pausieren bei anderen.»

Mit Hilfe optogenetischer Methoden manipulierten die Forschenden gezielt SNr-Nervenzellen. So konnten sie nachweisen, dass deren Aktivierung tatsächlich bestimmte Bewegungen blockierte – ein klarer Beleg für ihre steuernde Funktion.

Besonders eindrücklich: Selbst kleinste Änderungen im Bewegungsablauf wurden durch präzise Anpassungen der SNr Signale begleitet. Und die nachgeschalteten Empfänger dieser Signale im Hirnstamm reagierten mit Signalen in entgegengesetzter Richtung. Ein grünes Signal der SNr-Ampel führt somit dazu, dass das Gaspedal in der Empfängerzelle gedrückt wird und die Bewegung ausgeführt wird. Das spricht für eine präzise, bewegungsspezifische Kodierung einzelner Bewegungs-Segmente – nicht nur für eine allgemeine Kontrolle ganzer Verhaltensabläufe.

Neue Perspektiven für die Behandlung von Bewegungskrankheiten

Die Studie liefert ein eindrückliches Bild davon, wie das Gehirn selbst feinste Bewegungen durch ein Zusammenspiel aus Aktivieren und Hemmen steuert – eine Erkenntnis, die das bisherige Verständnis von Motorik neu definiert. Von besonderer Bedeutung ist dies auch für die Medizin: Bei Erkrankungen wie Parkinson oder Chorea ist genau diese fein abgestimmte Steuerung gestört – dies resultiert beispielsweise in der bekannten Schwierigkeit von Parkinson-Patienten, Bewegungen zu starten. «Wenn wir verstehen, wie die Basalganglien normale Bewegungen koordinieren, können wir künftig gezielter eingreifen, wenn dieses System aus dem Gleichgewicht gerät», erklärt Forschungsgruppenleiterin Arber.

Originalpublikation

Silvia Arber, Antonio Falasconi, Harsh Kanodia et al. Dynamic basal ganglia output signals license and suppress forelimb movements. Nature. Veröffentlicht online am 28. Mai 2025.

Kontakt

Communications, Livio Stöckli