Proteine sind die Arbeiter in unseren Zellen: Sie transportieren Stoffe, helfen beim Verdauen und dienen als Baustoffe. Um ihren vielfältigen Aufgaben nachkommen zu können, in die korrekte dreidimensionale Struktur gebracht werden, also müssen sie richtig gefaltet sein. Dafür sorgt ein ganzes Arsenal von Faltungshelfern: die Chaperone. Gemeinsam mit Prof. Anne Spang konnte das Team von Prof. Sebastian Hiller am Biozentrum, Universität Basel, nun erstmals zeigen, dass sich Chaperone eigenständig zu «Faltungsfabriken» zusammenschliessen. Dort werden die neu hergestellten, anfangs noch ungefalteten Proteine in die richtige Form gebracht.
Ausgangspunkt der Arbeit war eine klinische Beobachtung: Bei mehreren Familien mit genetischen Erkrankungen, darunter Leberfibrose, Diabetes und kognitive Beeinträchtigungen, fanden sich Mutationen in einem bestimmten Chaperon, kurz PDIA6. «Diese Beobachtung hat unser Interesse geweckt», sagt Hiller. «Wir haben uns gefragt, wofür PDIA6 eigentlich wichtig ist und deshalb angefangen, seine Funktion in der Zelle zu erforschen.»
«Faltungsfabrik» in der Zelle
Das endoplasmatische Retikulum (ER) ist ein Zellorganell, in der die Proteine gefaltet werden. Deshalb befinden sich dort zahlreiche Chaperone. «Traditionell dachte man, dass die Faltungshelfer einzeln im ER umherschwimmen», sagt Anna Leder, Erstautorin der jetzt in «Nature Cell Biology» publizierten Arbeit. «Wir haben jedoch herausgefunden, dass sie sich selbstständig organisieren und tröpfchenartige Gebilde, sogenannte Kondensate, bilden.»
Diese Kondensate entsprechen einem Fliessband, an dem die Maschinen für die Proteinfaltung optimal angeordnet sind. Dass sich mehrere Chaperone zusammenschliessen, dafür sorgt PDIA6. PDIA6 Moleküle interagieren miteinander und initiieren so die Bildung eines Kondensats, in das sich zahlreiche weitere Chaperone gesellen. «Die Konzentration an Faltungshelfern ist an diesem Ort sehr hoch, so dass ungefaltete oder fehlgefaltete Proteine dort förmlich hineingezogen werden», erklärt Leder. «Erst wenn sie korrekt gefaltet sind, werden sie daraus wieder entlassen.» Die Kondensate dienen zum einen der Qualitätskontrolle und steigern zum anderen die Effizienz der Proteinfaltung.
Ohne Kondensate kein Insulin
Was passiert jedoch, wenn diese Faltungsfabriken fehlen? Die Zellen sind dann massiv gestresst, im schlimmsten Fall sterben sie, denn es bleiben zu viele ungefaltete oder falsch gefaltete Proteine zurück. Genau dies konnten die Forschenden in weiteren Experimenten beobachten.
«Wir haben uns das Hormon Insulin, welches den Blutzucker reguliert, angeschaut», so Leder. «Die Vorstufe Pro-Insulin wird nur innerhalb der Kondensate richtig gefaltet. Bei Zellen mit Mutationen im PDIA6-Chaperon entstehen diese Kondensate nicht. Sie produzieren deshalb weniger Insulin und schütten auch weniger davon aus.». Dies deckt sich mit den klinischen Beobachtungen, bei denen Patienten mit PDIA6-Mutationen unter anderem an Diabetes leiden.
Mehr als die Summe der Einzelteile
«Diese Entdeckung ist ein echter Game-Changer», so Hiller. Solche Chaperon-Kondensate kannte man bisher überhaupt nicht. Sie sind nicht nur ein zufälliger Nebeneffekt, sondern eine wichtige organisatorische Einheit. «Möglicherweise müssen wir das Konzept des ER, möglicherweise auch anderer Zellorganellen, gründlich überdenken», sagt Hiller. «Wahrscheinlich kann man die Funktionsweise des ER nur mit dem Vorkommen von Kondensaten erklären und wirklich verstehen.»
Die Kenntnis um die Selbstorganisation von Chaperonen ist für die weitere Forschung und langfristig für die medizinische Praxis von Bedeutung. Zahlreiche Krankheiten hängen mit fehlerhaft gefalteten Proteinen zusammen wie etwa neurodegenerative Erkrankungen, Diabetes, Krebs oder zystische Fibrose.