Prof. Médéric Diard über soziale Interaktionen in bakterieller Gemeinschaften
Auf Kosten anderer zu leben, schadet dem Gemeinwohl. Dies gilt auch für die einfachsten Lebewesen – die Bakterien. Und so haben auch sie Strategien entwickelt, um diejenigen, die täuschen und betrügen, in Schach zu halten.
Gibt es bei Bakterien eine Art Sozialverhalten?
Ja, auch Bakterien sind auf eine gut funktionierende «Gesellschaft» angewiesen. Als Gemeinschaft können sie Stress oder schwierigen Lebensbedingungen wie zum Beispiel den Angriffen des Immunsystems oder Antibiotika-Therapien besser widerstehen. Hier sei Salmonella Typhimurium erwähnt, ein Keim, der bei einer erfolgreichen Besiedelung unseres Darmes, schwere und lebensbedrohliche Durchfälle auslöst. Wir haben herausgefunden, dass diese Bakterien die Tendenz haben, ihre Virulenz zu verlieren. Das hat uns sehr überrascht.
Auf den ersten Blick scheint das ja keine gute Überlebensstrategie zu sein?
Das ist wahr. Aber die Evolution von Salmonellen im Darm ist ein kurzsichtiger Prozess. Die am schnellsten wachsenden Mutanten gewinnen den Konkurrenzkampf ungeachtet der Konsequenzen für die Gemeinschaft. Die Produktion von Virulenzfaktoren geht mit deutlich geringeren Wachstumsraten einher. Das bedeutet, dass eine Infektion für die Bakterien mit hohen Kosten verbunden ist. Dieser Umstand befördert also die Entstehung von Mutanten, die die kostspieligen Virulenzfaktoren nicht mehr herstellen. Wir nennen diese Mutanten auch "Betrüger". Sie wachsen sehr schnell, denn sie profitieren vom Gemeinwohl, ohne die Kosten zu tragen.
Und wie kann sich die Gemeinschaft vor diesen «Betrügern» schützen?
Die nicht-virulenten Mogler können ihre virulenten Artgenossen ausbooten und würden somit die gesamte Salmonellen-Population im Darm ins Wanken bringen. Dies wäre für die Gemeinschaft natürlich eine Katastrophe, hätten die virulenten Salmonellen nicht eine Lösung für den Umgang mit diesen betrügerischen Invasoren gefunden. Tatsächlich stellt sich die Frage, wie die virulenten Erreger überhaupt existieren können, wenn die «Betrüger» im Vorteil sind. Was wir beobachtet haben, ist, dass auch Salmonellen das Prinzip der Arbeitsteilung kennen.
Auf welche Art und Weise?
Wenn man sich eine normale Population in ihrer natürlichen Umgebung anschaut, findet man zwei verschiedene Typen von Zellen: die «on-cells», die Virulenzfaktoren produzieren, und die «off-cells», die das nicht tun. Im Gegensatz zu den Betrügern, die niemals virulent sind, können die on- und off-cells je nach Bedarf epigenetisch von einem zum anderen Typ wechseln. In einer normalen Population gibt es also virulente, aber langsam wachsende on-cells und schnell wachsende, nicht-virulente off-cells.
Welchen Vorteil hat dieses unterschiedliche Verhalten für die Gesamtpopulation?
Der Job der on-cells ist es, die schützende Darmflora durch das Auslösen von Entzündungen loszuwerden und so eine Nische zu bilden. Eine Population mit vielen on-cells begünstigt jedoch gleichzeitig die Entstehung der harmlosen Betrüger-Zellen. Wenn diese ihre virulenten Konkurrenten verdrängen, geht die Entzündung zurück und die Darmflora fängt an nachzuwachsen. Zum Nachteil der Salmonellen, denn ohne die Entzündung können sie den Darm nicht besiedeln. Die Aufgabe der off-cells scheint es daher zu sein, die aufkommenden Betrügern klein zu halten und so die Nische zu schützen. Sie sind letztlich für die Übertragung der infektiösen Salmonellen sehr wichtig. Ich denke, diese Form der Arbeitsteilung ist für die gesamte Gemeinschaft überlebenswichtig und für die Aufrechterhaltung der Virulenz.
Wie kann Ihre Forschung dabei helfen, neue Strategien zur Bekämpfung bakterieller Infektionen zu finden?
Die Ansätze, die darauf abzielen, Krankheitserreger zu töten oder ihr Wachstum zu hemmen, treiben die Evolution eher in Richtung Resistenzentwicklung voran. Deshalb müssen wir nach neuen Wirkstoffen oder anderen bakterienabtötenden Mitteln wie Bakteriophagen suchen. Das heisst aber auch, dass wir über präventive Strategien nachdenken müssen. Der Punkt ist, wenn wir wissen, wie sich Krankheitserreger entwickeln, wie man ihre «sozialen» Interaktionen stört und wie die Strukturen von Bakteriengemeinschaften aufrechterhalten werden, dann könnten wir ihnen einen Schritt voraus sein. Im Falle der Salmonellen bedeutet dies, dass wir ein günstiges Umfeld für die harmlosen Betrüger schaffen und so den Wirt vor der Besiedelung durch virulente Bakterien schützen können. Das ist eine klassische Biokontrollstrategie - man besetzt die Nische mit etwas, das man managen kann. Obwohl dies kein vollständiger Schutz für den einzelnen Wirt bietet, so lässt sich damit jedoch die Übertragungskette unterbrechen und der Einsatz von Antibiotika und die Resistenzbildung reduzieren.
Forschungsgruppe Médéric Diard