Die Ribosomen stellen die gesamten Proteine für den Körper her und werden daher auch als «Proteinfabriken» bezeichnet. Dass sich ihre Architektur und Funktion über Jahrmillionen kaum verändert hat, unterstreicht wie essenziell sie für alle Lebewesen sind. Obwohl die Ribosomen hoch konserviert sind, haben sich einzelne Komponenten im Laufe der Evolution verändert und neue sind hinzugekommen.
Die Teams von Prof. Mihaela Zavolan und Prof. Anne Spang vom Biozentrum der Universität Basel haben die Funktion eines erst kürzlich entstandenen ribosomalen Bauteils, das Protein RPL39L, genauer untersucht und dessen Rolle bei der Proteinsynthese sowie die Bedeutung für die Zelldifferenzierung entschlüsselt. Ihre Ergebnisse sind nun in «Nucleic Acids Research» publiziert.
RPL39L ist wichtig für Zelldifferenzierung
Mithilfe einer neuartigen massenspektrometrischen Methode, die in der Proteomics Core Facility entwickelt wurde, gelang es ihnen erstmals nachzuweisen, dass das Protein RPL39L nicht nur, wie bereits bekannt, Teil des Ribosoms von Spermienzellen ist, sondern auch bei Mausstammzellen, menschlichen Stamm- und Krebszellen vorkommt. Wie sie weiter herausfanden, beeinflusst RPL39L die Fähigkeit von Stammzellen, sich in verschiedene Zelltypen und Gewebe zu entwickeln.
«Wir haben RPL39L mit CRISPR/Cas9-Technologie in embryonalen Stammzellen von Mäusen ausgeschaltet», erklärt Zavolan. «Diese manipulierten Stammzellen konnten nicht mehr in Spermienzellen ausdifferenzieren. Sie sind auf eine Art «verwirrt» und wissen nicht, in welchen Zelltyp sie sich entwickeln sollen. Wir haben uns gefragt, wie RPL39L die Zelldifferenzierung so stark beeinflussen kann?»
Besondere Struktur ermöglicht effiziente Proteinherstellung
Um diese Frage zu beantworten, haben die Forschenden in Zusammenarbeit mit der ScopeM Facility der ETH Zürich die Struktur von Ribosomen mit und ohne RPL39L als Bauteil genauer untersucht. Mittels hochauflösender Kryo-Elektronenmikroskopie konnten sie zeigen, dass RPL39L dem sogenannten Ribosomen-Tunnel, aus dem die neu gebildeten Proteine herauskommen, eine besondere Struktur verleiht. Diese Tunnel-Struktur ist wichtig dafür, dass neu gebildete Proteine ihre richtige Struktur bekommen und ihre Funktion ausüben können. Demnach hilft RPL39L dabei, dass sich bestimmte Proteine während ihrer Herstellung korrekt falten. Die betroffenen Proteine, so stellte sich heraus, spielen eine wichtige Rolle bei der Zelldifferenzierung.
«Nicht oder falsch gefaltete Proteine werden in der Zelle durch verschiedenen Mechanismen rasch wieder abgebaut», sagt Erstautor Arka Banerjee. «Dies konnten wir tatsächlich beobachten. Embryonale Stammzellen, denen RPL39L fehlt, bauen spezifische Proteine schneller ab als intakte Stammzellen. Dies deutet darauf hin, dass diese Zellen vermehrt defekte Proteine produzieren.»
Modulare Ribosomen um veränderten Proteinbedarf abzudecken
Unterschiedliche ribosomale Proteine fungieren als austauschbare Modulbausteine. Auf diese Weise lässt sich die Zusammensetzung und die Form der Ribosomen, und damit die Herstellung spezifischer Protein an den Bedarf der einzelnen Zelltypen anpassen.
Da die Proteinproduktion in jeder Zelle ein so zentraler Vorgang ist, kann die Erforschung der Ribosomen wertvolle Einblicke in zelluläre Prozesse und die Entstehung von Krankheiten wie Krebs liefern. Dass RPL39L auch bei verschiedenen Tumorzellen vorkommt, deutet darauf hin, dass dieses Protein auch eine Rolle bei der Krebsentstehung spielen könnte. Wie solche Modul-Bauteile funktionieren und wie embryonale Stammzellen und Krebszellen mithilfe dieser Module die Qualität und Effizienz ihrer Proteinproduktion abstimmen, ist Gegenstand zukünftiger Untersuchungen.
Originalartikel:
Arka Banerjee, Meric Ataman, Maciej Jerzy Smialek, Debdatto Mookherjee, Julius Rabl, Aleksei Mironov, Lea Mues, Ludovic Enkler, Mairene Coto-Llerena, Alexander Schmidt, Daniel Boehringer, Salvatore Piscuoglio, Anne Spang, Nitish Mittal and Mihaela Zavolan. Ribosomal protein RPL39L is an efficiency factor in the cotranslational folding of a subset of proteins with alpha helical domains. Nucleic Acids Research, published online 23 July 2024
Kontakt: Kommunikation, Katrin Bühler