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29. April 2022

Virulenz könnte Achillesferse von Krankheitserregern sein

Die Antibiotikakrise zwingt uns den Umgang mit bakteriellen Krankheitserregern zu überdenken. Prof. Médéric Diards Team am Biozentrum der Universität Basel konnte zeigen, dass der Durchfallerreger Salmonella empfindlicher auf Stress reagiert, wenn er Virulenzfaktoren produziert. Dies begünstigt die Entstehung stressresistenter, dafür harmloser Varianten. Die Evolution in Richtung nicht-krankmachender Varianten zu lenken, könnte ein alternativer Ansatz zur Bekämpfung von Keimen sein.

Die Herstellung von Virulenzfaktoren geht bei Salmonellen auf Kosten der Stressresistenz.

Bakterien sind wahre Überlebenskünstler. Krankheitserreger beispielsweise produzieren ein ganzes Arsenal an Substanzen, mit dem es ihnen gelingt, ihre Wirte zu befallen und der Immunabwehr zu entwischen. Das Bakterium Salmonella enterica Typhimurium verwendet eine ganze Reihe sogenannter Virulenzfaktoren, um sich im Darm infizierter Wirte wie dem Menschen einzunisten. Diese Virulenzfaktoren lösen unter anderem Entzündungen aus, welche die natürliche Darmflora schädigen. So schaffen sich die Keime eine ökologische Nische, in der sie überleben können.

Die Herstellung der Virulenzfaktoren hat jedoch ihren Preis: Die Erreger sind weniger fit, sprich sie wachsen langsamer. In ihrer aktuellen Studie zeigen die Forschenden um Prof. Médéric Diard vom Biozentrum, Universität Basel, dass Salmonellen für ihre Infektionskraft – die Virulenz – mit einer erhöhten Empfindlichkeit gegenüber Stress bezahlen. Für den Wirt ungefährlichere, nicht-virulente Erreger sind dagegen stressresistenter. Die in «PLoS Biology» veröffentlichen Ergebnisse sind wichtig für die Entwicklung neuer antibakterieller Strategien, die auf Konzepten der Evolution fussen und beispielsweise für ungefährliche Varianten ein günstiges Milieu schaffen.

Arbeitsteilung ist für bakterielle Gemeinschaften entscheidend

Im Darm teilen sich zwei Gruppen von Salmonellen die Arbeit: Eine Gruppe produziert Virulenzfaktoren, die andere nicht, diese wächst dafür sehr rasch. Beide Salmonellen-Varianten können von einem Zustand in den anderen wechseln. Mit dieser Strategie gewährleisten die Bakterien, dass nur ein Teil von ihnen in das kostspielige Virulenz-Programm investiert und nicht die gesamte Population mit dem Verlust der Fitness zahlen muss. 

Um ihren Wirt infizieren zu können, benötigen Salmonellen bestimmte Virulenzfaktoren in ihrer Membranhülle. «In unserer Studie haben wir bei einzelnen Bakterien untersucht, wie stressresistent ihre Membran ist», sagt Diard. «Dabei hat sich herausgestellt, dass die Produktion von Virulenzfaktoren die Durchlässigkeit der Membran erhöht und die Salmonellen gegenüber Umweltstress wie Hitze und Chemikalien empfindlicher macht. Bei Stress sterben diese virulenten Bakterien daher vermehrt.» Auf der anderen Seite haben Bakterien, die aufgrund von Stress keine Virulenzfaktoren produzieren, eine widerstandsfähigere Membran.

«Dieser Kompromiss zwischen Virulenz und Stressresistenz könnte erklären, warum die Produktion von Virulenzfaktoren unter widrigen Bedingungen im Allgemeinen unterdrückt wird», schliesst Diard. Zudem konnten die Forschenden bei Mäusen nachweisen, dass die mit der Virulenz verbundene Empfindlichkeit gegenüber Stress auch eine Bürde für die Salmonellen darstellt, denn ihre Infektionskraft ist dadurch sehr instabil. Unter widrigen Bedingungen wie beispielsweise bei Entzündungen haben gerade die widerstandsfähigen, aber harmlosen Varianten im Darm einen evolutionären Vorteil.

Alternative bakteriellen Infektionen Herr zu werden

Die rasche Zunahme antibiotikaresistenter Erreger führt zu einer wachsenden Zahl lebensbedrohlicher Infektionen, die mit herkömmlichen Antibiotika nicht mehr behandelt werden können. Diese stille Pandemie fordert Jahr für Jahr mehr Menschenleben. Die Entwicklung neuer Antibiotika ist daher wichtiger denn je. Doch neue Wirkstoffe bringen auch neue Resistenzen hervor. 

«Umso mehr sollten wir über Alternativen nachdenken. Unsere Erkenntnisse könnten für die Entwicklung sogenannter Anti-Virulenz-Strategien von erheblicher Bedeutung sein», erklärt Diard. «Im Fall von Salmonellen könnten wir ihre Evolution in Richtung ungefährlicher Varianten puschen, indem wir sie Stress aussetzen.» Dieser evolutionsbiologische Ansatz erweitert das Spektrum antibakterieller Therapien und könnte lebensbedrohliche Infektionen verhindern.

Originalartikel:
Malgorzata Sobota,Pilar Natalia Rodilla Ramirez,Alexander Cambré,Andrea Rocker,Julien Mortier,Théo Gervais,Tiphaine Haas,Delphine Cornillet,Dany Chauvin,Isabelle Hug,Thomas Julou,Abram Aertsen ,Médéric Diard. The expression of virulence genes increases membrane permeability and sensitivity to envelope stress in Salmonella Typhimurium, PLoS Biology, published online 7 April 2022

Kontakt: Kommunikation, Katrin Bühler