Raus aus der Bubble
Aufgewachsen ist sie mit drei Schwestern in Pratteln. Der Zufall hat sie zur Molekularbiologie gebracht. Claudia Keller Valsecchi, die einst am Biozentrum studiert hat, ist nun als Professorin zurückgekommen. Im Gespräch erzählt sie von ihrer Verbundenheit zur Heimat und wie unwahrscheinlich es eigentlich war, irgendwann wieder hier zu sein.
Du bist mit drei Schwestern aufgewachsen. Haben alle in deiner Familie ein besonderes Interesse für Natur- wissenschaften?
Nein, wir vier machen alle etwas anderes. Meine ältere Schwester ist Juristin und arbeitet in Zürich im Verlagswesen für juristische Fachliteratur, dort betreut sie den Onlinebereich. Meine jüngere Schwester arbeitet in der Gastronomie – aktuell im Restaurant auf dem Pilatus. Meine jüngste Schwester ist Pflegefachfrau geworden. Also rückblickend ziemlich spannend, wo wir alle gelandet sind.
Und deine Eltern?
Mein Vater ist ursprünglich Schriftsetzer aber machte mit Anfang 30 eine Ausbildung zum Krankenpfleger – das blieb er bis zur Pensionierung. Er hat das sehr gerne gemacht. Meine Mutter ist biomedizinische Analytikerin und war 49 Jahre lang bei Viollier. So lange dabei zu bleiben, hat mich immer beeindruckt.
Wie war dein Weg zur Biologie und in die Forschung?
In der Schule mochte ich Mathe, Chemie und Physik – Biologie eigentlich weniger. Denn das war vor allem Pflanzenkunde und bestand aus Blätter-sammeln, pressen und einkleben – und ich bin eher ungeduldig. (lacht) Der Weg in die Molekularbiologie war dann eher ein Zufall: Am Gymnasium wollte ich einen Mathekurs belegen, der dann nicht zustande kam. Stattdessen wurde ich in einen neu ins Leben gerufenen Kurs «Die Moleküle des Lebens» eingeteilt. Hier haben sie die Schüler versammelt, die ein Interesse an Naturwissenschaften hatten. Dieser Kurs – es ging um DNA, Proteine und Entstehung des Lebens auf molekularer Ebene – hat mich komplett gepackt.

Claudia Keller Valsecchi studierte Molekularbiologie am Biozentrum und erwarb ihren Master of Science am FMI. Nach ihrer Promotion am FMI wechselte sie als Postdoktorandin ans Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg. Bevor sie im August 2025 als Assistenzprofessorin ans Biozentrum kam, leitete sie eine Forschungsgruppe am IMB in Mainz.
Nach der Schule warst du erst bei einer Investmentbank. Wie kam es dazu?
Ja, zwischen Matura und Studienstart und später dann auch in den Semesterferien habe ich dort im Bereich Marketing & Communications gearbeitet. Ich habe viel Übersetzungs- und Qualitätssicherungsarbeiten übernommen, Corporate-Identity-Richtlinien überprüft und hatte viel Kundenkontakt. Das Arbeiten war sehr analytisch, fast pedantisch, hat mir allerdings später beim wissenschaftlichen Schreiben und Korrigieren von Papers enorm geholfen. Und ich habe gelernt: Ich bin nicht für Grosskonzerne gemacht (lacht).
Woran erinnerst du dich besonders, wenn du an deine Zeit als Studentin am Biozentrum denkst?
Es war eine tolle Zeit. Urs Jenal, Markus Affolter, Markus Rüegg und Silvia Arber waren damals schon hier. Sie haben wirklich sehr gute Vorlesungen gehalten. Ich erinnere mich noch heute beispielsweise an Einzelheiten aus Urs Vorlesung. Er ist und bleibt ein Vorbild für mich.
Und wie kam es, dass du dich am Biozentrum beworben hast?
Eigentlich war ich erst ein paar Jahre am Institute of Molecular Biology in Mainz und hätte noch länger bleiben zu können. Und dann sah ich die Ausschreibung am Biozentrum. Ich musste mich einfach bewerben, denn so eine Stelle gibt es nicht oft, und zurück in die Schweiz wollten wir als Familie langfristig eigentlich sehr gerne.
Und dann?
Als ich für mein Bewerbungsgespräch in Basel war, sass mein Mann in Mainz zwischen Umzugskisten und unser kleiner Sohn war krank … Als Alex mir dann via Skype zusagte, war einer meiner ersten Gedanken: «Oh nein, nicht noch ein Umzug.» Nein, im Ernst, natürlich haben wir uns beide riesig gefreut.
Wann kam die Entscheidung eine Forschungskarriere einzuschlagen?
Das war kein Lebensplan, sondern kam Schritt für Schritt. Eine wichtige Station war meine Masterarbeit am FMI in Basel. Meine Betreuerin damals war super, sie hat mir die Basics im Labor gezeigt, wie man Experimente richtig plant, sein Laborbuch führt und akkurat dokumentiert. Die Doktorarbeit habe ich dann in einer anderen Gruppe, auch am FMI, gemacht – darin ging es um Chromatin und RNA in Hefe. Diesem Gebiet bin ich in gewisser Weise treu geblieben. Anschliessend ging es für mich ans Max-Planck-Institut in Freiburg, und später als Gruppenleiterin nach ans IMB in Mainz.
Woran forscht deine Gruppe?
Uns interessieren Geschlechtsunterschiede in der Genregulation – insbesondere die Geschlechtschromosomen. Beim Menschen haben beispielsweise die Frauen zwei X-Chromosomen und die Männer jeweils ein X- und ein Y-Chromosom. Damit hätten Frauen theoretisch die doppelte Menge an x-chromosomalen Genprodukten, wenn sie nicht stumm geschaltet würden. Wir wollen herausfinden, auf welche Weise Organismen diese unterschiedliche Gendosis kompensieren. Wir arbeiten unter anderem mit Malaria-Mücken.
Ein wichtiges Thema in der Malaria-Prävention: Was habt ihr bereits herausgefunden?
Die überraschende Entdeckung war, dass Prozesse, die in anderen Organismen essenziell sind, bei Anopheles-Mücken viel toleranter zu sein scheinen. Vereinfacht gesagt: Schaltet man dort bestimmte Dosiskompensations-Mechanismen aus, sterben die Tiere nicht zwingend. Das ist biologisch spannend – und auch für die Anwendung relevant, denn es beeinflusst, welche genetischen Strategien zur Eindämmung vom Überträger von Malaria wirksam sind.
Warum sind Mücken ein spannendes Forschungsobjekt?
Malaria wird nur von weiblichen Mücken übertragen. Die klassische Bekämpfung setzt auf Insektizide – dagegen gibt es inzwischen allerdings weit verbreitete Resistenzen. Darum werden nun vermehrt gentechnische Ansätze wie Sterilitätsstrategien diskutiert. Dazu muss man aber die genetischen Voraussetzungen in der Mücke genau verstehen.
Nun bist du zurück in Basel - was bedeutet dieser Ortswechsel für dich?
Ganz ehrlich: Es fühlt sich fast surreal an. Ich hätte nie gedacht, dass das klappt – und dann gleich am Biozentrum. Wissenschaftlich ist die Qualität hier enorm: Uni, ETH-Partner, FMI, Industrie – Seminare, Infrastruktur, Core Facilities.
Arbeitest du hier schon mit anderen Teams zusammen?
Ja, erste Kooperationen laufen schon, unter anderem mit Maria Hondele und Sebastian Hiller. Inhaltlich passt das sehr gut.
Wie gross soll dein Team werden?
Eine gute Grösse sind etwa zehn, zwölf Personen – genug kritische Masse und doch überschaubar. Wichtig ist eine gute Mischung aus Erfahrung, von Bachelor und Master bis zum Senior-Postdocs.
Und wie sieht es mit der Lehre aus?
Darauf freue ich mich. Bisher habe ich vor allem am Max-Planck-Institut und am IMB auf Institutsebene betreut und weniger formale Lehre gemacht. Mit der geplanten Curriculum-Umstellung steige ich dann hier ein – wahrscheinlich mit Themen wie eukaryotische Genetik, Entwicklungsbiologie und Genregulation.
Du warst lange in Deutschland und nun zurück in der Schweiz. Wie blickst du auf die beiden Forschungslandschaften?
Die Art zu Forschen ist in den einzelnen Ländern Europas schon sehr unterschiedlich, obwohl alles Europa ist. In Deutschland sind die Verwaltung und Regularien viel spürbarer, und auch die Grants-Landschaft funktioniert anders. Hier in Basel ist vor allem die Dichte exzellenter Gruppen sehr hoch – das ist wirklich ein grosser Vorteil.
Wenn du zurückschaust, was war für dich «der» Schlüsselmoment?
Ich hatte sogar zwei. Der Gymnasialkurs «Moleküle des Lebens» – ohne den wäre ich wahrscheinlich in der Archäologie, Pharmazie oder Mathematik gelandet. Und später die Master-Zeit am FMI, wo ich gelernt habe, was es heisst, selbstständig zu forschen.
Und privat: Was erdet dich ausserhalb des Labors?
Als Familie wollten wir erst mal ankommen: Unser Sohn ist im Kindergarten gestartet, mein Mann managt im Moment viel zu Hause und schaut nach seiner Mutter. Er hat in Mainz als Gebäudemanager gearbeitet und will sich nun in Ruhe nach etwas Neuem umschauen. Und für mich ist neben dem Labor die Musik schon immer wichtig.
Welches Instrument spielst du?
Ich spiele Trompete und Klavier. Früher habe ich im Musikverein und in mehreren Bands gespielt, wo ich auch meinen Mann kennengelernt habe. Musik machen ist für mich der beste Ausgleich, weil es mich sofort fokussiert und die Atmung verändert.
Was möchtest du jungen Forschenden mitgeben?
Erstens: Handwerk zählt – saubere Experimente, gute Notizen, klare Abbildungen sind Grundlage für alles. Und zweitens: Raus aus der eigenen Bubble! Suche aktiv neue Begegnungen und Perspektiven. Viele meiner Wege habe ich eingeschlagen, weil ich vorher bewusst «andere Wege» gewählt habe: Bei einem Wandertag vom FMI zum Beispiel habe ich mich – ganz bewusst – nicht meiner eigenen Gruppe angeschlossen, sondern eine andere Tour gewählt. Auf dem Rückweg bin ich in einer Gondel mit Marc Bühler gelandet. Wir haben lange gesprochen. Ein paar Monate später habe ich dann meine Doktorarbeit bei ihm angefangen.
Forschungsgruppe Claudia Keller Valsecchi

