Du bist in Kalifornien aufgewachsen. Wie ist das Leben dort? So, wie man es sich vorstellt?
Ich bin in Nordkalifornien aufgewachsen. Dort ist das Wasser sehr kalt und es gibt grosse, weisse Haie. Trotzdem versuchen einige dort zu surfen. Es ist sogar ein Hotspot für Profis, die gefährliche Riesenwellen lieben. Es ist also ein wilder Ort. Ich vermisse den salzigen Geruch des Meeres und das Geräusch der Wellen, wenn sie an den Felsen brechen. Und ich vermisse die Berge der Sierra Nevada. Aber Kalifornien verändert sich sehr. Es ist anders, als die meisten glauben. Mich macht es eher traurig, wenn ich an Kalifornien denke. Natürlich besuche ich meine Eltern immer noch gerne, aber ich würde dort nicht mehr leben wollen.
Warum nicht?
Kalifornien geht aufgrund von Übernutzung und Klimawandel das Wasser aus. Die meiste Zeit des Jahres ist es unglaublich trocken … Ich hatte einen Mammutbaum, den meine Tante und mein Onkel am Tag meiner Geburt gepflanzt haben. Dieses Jahr ist er vertrocknet. Mein Vater hat mir Bilder und Videos davon geschickt, wie er gefällt wird. Viele Wälder in Kalifornien sterben derzeit aufgrund der Trockenheit oder durch riesige Brände, die auch Folgen des Klimawandels sind. Zusätzlich hat Kalifornien auch viele soziale Probleme bei der Gesundheitsversorgung und Bildung. Ich möchte meine Kinder dort nicht aufziehen. Die Gesellschaft ist einfach nicht ausgewogen. Kalifornien hat mir viel gegeben, aber diese Umstände machen mich traurig.
Vor über 10 Jahren bist du als Postdoc ans Max-Planck-Institut für Biochemie nach München gezogen. Wie war das Leben dort?
Zuerst dachten wir, das würde ein Abenteuer für zwei Jahre werden. Doch ziemlich schnell war klar, dass wir dort unsere neue Heimat gefunden hatten. Ich hatte noch nie zuvor Jahreszeiten erlebt und jetzt liebe ich sie und zu erleben, wie sich die Natur verändert. Das Leben in Europa ist anders. In San Francisco gibt es Parks, in denen man nachts niemals alleine herumlaufen würden. Durch den Englischen Garten in München zu spazieren, war für uns also ein unglaubliches Erlebnis, und natürlich lieben wir auch die vielen Biergärten. Wir haben in der Nähe der Isar gewohnt, die für unsere Kinder wie ein Spielplatz war.
Wie erleben deine Kinder diese Freiheit?
Unsere drei Kinder werden auf Schweizer Art selbstständig. Mein ältester Sohn geht allein zur Schule und erkundet die Umgebung auf eigene Faust. Ich glaube, er liebt es. Ein weiterer grosser Unterschied zu Amerika ist, dass meine Kinder ohne Auto aufwachsen. Hier nehmen wir immer Bus und Bahn.
Warum hast du dich für das Biozentrum entschieden?
Wegen der Kolleginnen und Kollegen. Die Vielfalt der Forschungsgebiete und meine Kollegen aus der Strukturbiologie sind super. Es laufen auch schon einige Kooperationen. Wir arbeiten mit Marek Basler zusammen und teilen uns eine Studentin vom SNI mit Maria Hondele teilen.
Wie erklärst du jemandem, der kein Wissenschaftler ist, deine Forschung?
Wir schauen in Zellen hinein, um zu sehen, wie all ihre winzigen Einzelteile aussehen, um zu verstehen, wie sie funktionieren. Es ist fast so, als würden wir schrumpfen und einen Spaziergang durch die Zelle machen. Das ist nur möglich, weil wir hier am Biozentrum super gute Mikroskope haben.
Du bist der erste PI am Biozentrum, der mit Pflanzen arbeitet, richtig?
Ja, das ist auch an der Zeit! Aber es gab am Biozentrum schon andere sehr wichtige strukturbiologische Arbeiten zu Pflanzenproteinen. Trotzdem sind wir wohl die erste Gruppe mit einem so starken Fokus auf das „Grünzeug“. Das ist für viele neu hier und ich werde oft nach Pflanzen gefragt, obwohl wir mehr an Algen forschen. Wenn sich jemand nach meiner Forschung erkundigt, sage ich immer auch, dass es wichtig ist zu verstehen, wie wir mit der Pflanzenwelt verbunden sind. Darum untersuchen wir ihre Photosynthese. Ich würde erklären, warum Pflanzen grün sind und wie Chloroplasten die Energie von Licht nutzen, Kohlendioxid absorbieren und uns Sauerstoff zurückgeben. Wir wiederum brauchen den Sauerstoff und geben ihnen Kohlendioxid zurück. Dazu setzen wir viele moderne Technologien ein, konzentrieren uns aber auf die Biologie.
Was genau fasziniert dich dabei?
Nun, ich bin ein sehr visueller Mensch. Ich muss wirklich die verschiedenen Bestandteile der Zellen erst sehen, ihre Form und wie sie sich bewegen, um zu verstehen, wie sie funktionieren.
Woher bekommst du deine Proben?
Wir züchten die meisten unserer Algen und Pflanzen im Labor, sammeln aber auch Algen aus dem Meer. Diesen Sommer waren wir in Island, um Proben von Kieselalgen zu holen. Sie produzieren etwa 15 Prozent des weltweiten Sauerstoffs und liefern Nahrung für einen Grossteil der Meeresbewohner. Darum macht es Sinn, an ihnen zu forschen und zu verstehen, inwiefern sie Pflanzen ähneln. Wir arbeiten auch an Bakterien, die einen Grossteil des weltweiten Kohlenstoffs binden. 50 Prozent der weltweiten Photosynthese findet im Ozean statt, aber über die Organismen wissen wir immer noch wenig. Nächstes Jahr nehmen wir an der TREC-Mission vom EMBL teil, um Algen entlang der europäischen Küste zu sammeln.
Gefällt dir dieses Thema, weil es so brandaktuell ist?
Ich bin vor allem neugierig und forsche gerne. Bei Algen im Ozean gibt es besonders viel Neues zu entdecken. Als ich jung war, habe ich gerne mit meinem Vater Star Trek – The Next Generation geschaut. Da wird das Universum erforscht und die Filmhelden «entdecken unbekannte Weiten». Das Innere des Universums einer Zelle zu erforschen, fühlt sich für mich ähnlich an. Meine Hauptmotivation ist also, Neues zu entdecken. Photosynthetische Zellen sind die Basis neuen Lebens. Deshalb möchte ich mehr über sie herausfinden.
Wie bist du in diesem Forschungsgebiet gelandet?
Zur Photosynthese kam ich eher zufällig: Als Postdoc habe ich mir mithilfe der Tomographie Zilien angeschaut, kleine haarähnliche Organellen, mit denen Algen schwimmen. Sie liessen sich allerdings nicht immer darstellen. So habe ich angefangen, auch andere Strukturen in den Algenzellen zu erforschen. Da die Hälfte der Organellen in Algen Chloroplasten sind, haben wir diese untersucht und ich fand sie immer spannender.
Warum gerade Pflanzen?
Meine Liebe zu Pflanzen kommt durch meinen Eltern, vor allem meine Mutter. Wir hatten immer einen grossen Gemüsegarten vor dem Haus. So bekam ich ein Gefühl für Pflanzen. Wir waren jedes Jahr zwei Wochen in der Sierra Nevada wandern. Ich habe es geliebt, entlang der hohen Berge von einem Campingplatz zum nächsten zu wandern. Meine Mutter hat mir dabei immer Pflanzen gezeigt, ist stehen geblieben und hat sie gezeichnet. Hier gab es auch Riesenmammutbäume, die grössten Bäume der Welt.
Könnte deine Forschung dazu beitragen, den Klimawandel aufzuhalten?
Es ist wichtig, neue Dinge zu erforschen, um die Photosynthese und Kohlenstofffixierung besser zu verstehen. Es wird wohl nicht mein Labor sein, das die Technologie entwickelt, um den Klimawandel aufzuhalten. Aber vielleicht machen wir eines Tages eine Entdeckung, die von Ingenieuren dazu eingesetzt werden kann. Wichtiger ist jedoch, dass wir unsere CO2-Emissionen sofort reduzieren.
Wie soll das gehen?
Das erfordert Veränderungen von top-down durch Politik und Unternehmen. Den Menschen den Klimawandel verständlich zu machen, kann schon etwas bewirken. Wir als Wissenschaftler haben dabei die Aufgabe, wissenschaftliche Erkenntnisse der Öffentlichkeit zu vermitteln. Wir müssen die Menschen dazu bringen, Wissenschaft zu verstehen, ihr zu vertrauen und sie vor Fehlinformationen schützen.
Nutzt du darum Social Media oder warum kommunizierst du deine Forschung online?
Eigentlich mag ich Social Media nicht besonders und hatte bis vor ein paar Jahren noch nicht einmal ein Smartphone. Bei X habe ich mich anfangs wegen einer Art Videospiel-Werbung angemeldet und dann einige Jahre mein Konto nicht mehr angerührt. Als ich anfing, anderen Wissenschaftlern zu folgen und mit ihnen zu chatten, wurde ich ziemlich süchtig. Und jetzt ist es ein Problem, weil ich zu viel Zeit damit verbringe. (lacht)
Du kommunizierst persönlich, direkt und leicht verständlich auf Social Media.
Ja, genauso müssen wir über Wissenschaft sprechen. Wir sollten eine gemeinsame Sprache verwenden und Wissenschaft so verständlich wie möglich machen, denn sie ist für alle da. Social Media bietet die Möglichkeit, auch mit Nicht-Wissenschaftlern in Kontakt zu treten, ihre Neugier zu wecken oder Menschen dazu anzuregen, über den Klimawandel nachzudenken.
Was ist mit deiner Frau? Woher kommt sie und wo habt ihr euch kennengelernt?
Meine Frau ist in Kalifornien geboren, aber ihr Vater ist Schweizer. Sie ist also ebenfalls Schweizerin. Als Biochemikerin hat sie auch in San Francisco promoviert. Dort haben wir uns kennengelernt. Sie liebt wissenschaftliches Schreiben und hat im Anschluss an ihren Postdoc am MPI und nach der Geburt unseres ersten Kindes mit fünf anderen Wissenschaftlerinnen ein Unternehmen gegründet und schreiben und bearbeiten Anträge für Stipendien und Manuskripte für akademische Labors und private Unternehmen.
Dann könnt ihr beide deutsch sprechen?
Grüezi! Nein, mein Deutsch ist schrecklich. Ich würde sehr gerne Deutsch lernen, aber es ist schwierig, Zeit zu finden. Jetzt hier in Basel sollte ich direkt mit Schweizerdeutsch anfangen. Ich mag den Klang. Es klingt viel freundlicher als Hochdeutsch und hat weniger Grammatik.
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Ben Engel studierte Molekular-und Zellbiologie an der University of California, Berkeley, und promovierte im Jahr 2011 im Bereich Zellbiologie an der University of California, San Francisco. Anschliessend forschte er als Postdoktorand und später als Projektleiter am Max-Planck-Institut (MPI) für Biochemie mit Sitz in Martinsried. 2019 wechselte Ben Engel ans Helmholtz Zentrum München und leitete am Helmholtz-Pionier-Campus eine eigene Forschungsgruppe. 2020 wurde ihm der Titel Junior Fellow der Technischen Universität München verliehen.