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Von Neugier angetrieben

Mai 2016

Als Teenager übersetzte er Hieroglyphen und baute einen mit Flüssigkeit angetriebenen Motor. Später, als Doktorand im Labor von Walter Gehring, züchtete er Fliegen mit Augen an den Beinen. Für Georg Halder ist Neugier schon seit jeher die Antriebsfeder. Ein Glück, dass auf seiner Forschungslandkarte noch genügend «weisse Flecken» auf ihre Entdeckung warten. Doch das Unbekannte und Fremde fasziniert ihn auch weit über die Arbeit hinaus. Und so begibt er sich bei seinen Reisen immer wieder auf die Suche nach Spuren vergangener Kulturen und Meteoriten. 

Sie haben Biologie studiert und arbeiten seit mehr als zwanzig Jahren in der Forschung. Wurde Ihnen die Leidenschaft für die Natur und das Leben schon in die Wiege gelegt?

Ich glaube, ich war schon immer neugierig. Experimentieren und herausfinden, wie etwas funktioniert, das ist eine Leidenschaft von mir. Als Teenager habe ich mich für Physik, Chemie und Biologie begeistert. Letztlich habe ich mich aber dazu entschlossen, Biologie zu studieren, da Lebewesen noch viel spannender sind als tote Materie. Dennoch, auch Physik finde ich immer noch cool. Besonders Quantenmechanik und moderne Optik haben es mir angetan. Manchmal, wenn ich etwas Zeit finde, lese ich auch Artikel aus diesen Bereichen.

Haben Sie schon als Kind herumexperimentiert?

Ja, natürlich. Mein Patenonkel war Physiker an der ETH Zürich und gelegentlich habe ich ihn dort besucht. In seinem Labor hatte er einen dieser tollen Laser, mit dem man Löcher in Papier stanzen konnte. Ich kann mich auch noch gut daran erinnern, dass er mir zu meinem Geburtstag ein Abo für das Heft «Scientific American» geschenkt hat. Das ist eine Zeitschrift, die Biologie, Physik usw. auf eine für Laien verständliche Art und Weise erklärt. Jeden Monat wurde dort ein Experiment vorgestellt, das man zu Hause nachmachen konnte. Und einmal stand dort die Anleitung für den Bau eines Motors mit flüssigem Kolben. Das war grossartig. Ich habe also diesen Motor nachgebaut und er hat, zu meiner Überraschung, sogar funktioniert. Als Teenager hatte ich ausserdem ein Motorrad. Und wie man sich gut vorstellen kann, habe ich dort jede Menge herumexperimentiert, um es schneller zu machen (lacht).

In den 1990er Jahren haben Sie bei Walter Gehring promoviert. Wie bedeutsam war diese Zeit für Sie und Ihre Karriere?

Die Jahre in Walters Labor waren enorm wichtig für mich. Das Labor stand damals auf seinem Zenit und die Postdoktoranden waren extrem aktiv. Wir haben stets und ständig über Wissenschaft diskutiert. Es war ein Ort, wo man förmlich spüren konnte, dass dort wichtige Entdeckungen gemacht werden. Walter hegte eine grosse Leidenschaft für die Biologie. Obwohl er zwar immer alles von Grund auf verstehen wollte, hat er nie den Blick für die Schönheit der Natur verloren. Er war ein echter Vollblut-Biologe und konnte mit seiner Leidenschaft jeden anstecken. Ich selbst habe eine Menge von ihm profitiert, keine Frage!

Sie haben Drosophila Fliegen mit zusätzlichen Augen an Beinen und Flügeln gezüchtet. War dies der Schlüssel zum Erfolg?

Dieses Experiment hat meine berufliche Laufbahn entscheidend geprägt. Die Studie haben wir in einer hochrangigen Zeitschrift publiziert und ich erhielt dafür mehrere Auszeichnungen. Dies hat mir einige Türen geöffnet, zum Beispiel zu Forschungsstipendien. Auch über die Forschergemeinschaft hinaus erregte meine Arbeit grosse Aufmerksamkeit und sie hat viele, auch ethische und philosophische Fragen aufgeworfen. Ich erinnere mich noch daran, wie ich das erste Mal die Fliege mit einem ektopischen Auge gesehen habe. Ich dachte: Wow, ist das irre, ein Auge, das an einem Bein wächst! 

Wie genau sahen die Reaktionen aus, insbesondere von Seiten der nicht-wissenschaftlichen Gemeinschaft?

Natürlich reagierte auch die Öffentlichkeit darauf. Eine amerikanische Zeitung, die «New York Times» schrieb: «Wissenschaft übertrifft Hollywood mit einer neuen Fliege.» Eine anderes Magazin titelte: «Frankenstein-Forschung vom Allerfeinsten.» Für die Leute mutete es wie Science Fiction an. Und als wir unsere Publikation gerade veröffentlicht hatten, sprühte jemand an die Wand des Biozentrums «Lasst die Fliege frei.» Für mich war es sehr interessant zu sehen, dass die erste Reaktion häufig Angst und Unsicherheit war. Doch sobald die Leute die Bedeutung des Experimentes für die Biologie verstanden, konnten auch sie den Wert erkennen. Deshalb ist es meiner Meinung nach auch so wichtig, Forschung zu kommunizieren. Mit der Entwicklung neuer Technologien und Therapien, wie beispielsweise der regenerativen Medizin, werden wir zunehmend vor Entscheidungen gestellt werden, die wir nur mit entsprechenden Kenntnissen  treffen können.

Gleich nach dem Studium sind Sie in die Vereinigten Staaten gezogen und haben dort 16 Jahre lang gelebt. Warum sind Sie nach Europa zurückgekehrt?

Anfangs wollte ich gar nicht zurückkommen. Es war wunderbar in den USA zu leben und zu arbeiten. Aber das grosszügige Angebot der KU Leuven (Katholieke Universiteit Leuven) konnte ich einfach nicht ausschlagen, bot es mir doch die Gelegenheit, ein ganz neues Projekt auf die Beine zu stellen.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten forschen Sie über das Organwachstum. Wodurch wurde Ihr Interesse geweckt?

Durch ein Mysterium, das mich schon sehr lange beschäftigte: Woher weiss ein Organ, wie gross es werden muss? Walter Gehring hatte in einer seiner Vorlesungen über aussergewöhnliche Phänomene der Regeneration berichtet, wie man sie zum Beispiel von der Kakerlake kennt. Wenn man ein Stück von ihrem Bein abschneidet, dann kann sie genau dieses fehlende Stück ersetzen. Diese ungeklärten Phänomene haben mich extrem fasziniert. Als ich dann im Anderson Cancer Center in Houston, Texas, anfing, liess ich es auf einen Versuch ankommen und begann das Wachstum und seine Kontrollmechanismen zu erforschen. Bei einem Screening entdeckten mein Kollege und ich dann einige Drosophila Mutanten, bei denen die Grösse der Organe nicht normal war. Eine dieser Mutanten tauften wir Hippo.

Warum ausgerechnet Hippo?

Es gibt die Tradition, dass man die Gene der Drosophila nach Tieren benennt. In einigen Fällen spiegelt der Name mehr oder weniger auch deren Aussehen wider. Die Hippo-Mutanten ähneln einem Flusspferd. Sie haben grosse Köpfe, viele Falten und sie sind stark pigmentiert. Kurzum, der Name Hippo passte einfach am besten.

Welche Einfluss hat der Hippo-Signalweg auf Wachstum und Entwicklung?

Im Verlauf der Jahre hat mein Labor, aber auch andere, zahlreiche Mitglieder des Hippo-Signalweges identifiziert. Und es stellte sich heraus, dass Organe eine veränderte Zellzahl aufweisen, wenn dieser Signalweg gestört ist. Soweit wir wissen, ist Hippo notwendig, um die Organgrösse zu kontrollieren. Wie es aussieht ist er auch für die Regeneration wichtig, denn ohne Hippo können Organe nicht mehr entsprechend auf Verletzungen oder Schäden reagieren. Aber uns ist bis heute noch nicht klar, wie dieser Signalweg gesteuert wird. Was wir jedoch zeigen konnten, ist, dass Hippo eine Rolle bei der Tumorentstehung spielt. In verschiedensten Tumoren sind einzelne Komponenten des Signalweges stark aktiviert. Ist er jedoch ausgeschalten, bilden sich in der Leber von Mäusen überhaupt keine Tumore mehr. Die Frage ist, was genau bewirkt ein fehlregulierter Hippo-Signalweg in Tumorzellen? Es bleibt also noch eine Menge zu tun.

Mitte der 1990er Jahre wollten Sie mit dem Preisgeld einer Auszeichnung eine Reise in die Wüste unternehmen, um dort nach Meteoriten zu suchen. Haben Sie Ihren Traum jemals verwirklicht?

Ja, das habe ich tatsächlich. Kurz nach der Preisverleihung bin ich einen Monat lang in der Libyschen Wüste und der Sahara umhergereist. Libyen ist ein wunderschönes Land. In Wirklichkeit war ich nicht auf der Jagd nach Meteoriten, aber unser Fahrer hat mir damals etwas ganz Besonderes geschenkt, ein Stück Libysches Glas. Vor etwa 20 oder 30 Millionen Jahren schlug ein Komet auf der Erde ein und hat wohl den oberflächlichen Sandstein aufgeschmolzen. Dabei entstand das heute als Libysches Glas bekannte Quarzglas.

Und sind Sie auch immer noch vom Alten Ägypten und den Hieroglyphen fasziniert?

Hieroglyphen studiere ich heute nicht mehr. Aber als Teenager habe ich sogar für einige Jahre Kurse besucht, um sie zu entschlüsseln. Einige Male sind wir sogar nach Ägypten gereist, besuchten die Tempel und übersetzten die Hieroglyphen an den Wänden und Mauern. Es war extrem beeindruckend, mit den Zeugnissen einer Kultur konfrontiert zu werden, die mir absolut fremd war. Auf einem unserer Campingplätze in der Sahara endeckten wir eine antike, etwa zehntausend Jahre alte Küche. Wir fanden Haushaltsgeräte wie Steinteller, Steinmesser und ein Werkzeug zum Schärfen. Ich dachte nur, wow, vor tausenden von Jahren haben das hier Menschen geschaffen und nun stehe ich hier an ein und derselben Stelle. Das ist einfach unglaublich. Und erst dann realisierst du, dass diese wenigen Gegenstände die einzige Verbindung zur Antike – einer komplett anderen Welt – sind.

 

Lebenslauf:

Seit 2012 ist Georg Halder Professor für Genetik an der Universität Löwen und dem Flämischen Institut für Biotechnologie (VIB) in Belgien. Er studierte Biologie am Biozentrum und promovierte 1996 unter der Leitung von Walter Gehring. In Drosophila entdeckte er ein übergeordnetes Kontrollgen, das die Entwicklung der Augen steuert. Anschliessend forschte er als Postdoktorand an der University of Wisconsin, USA. Vor seiner derzeitigen Position war Georg Halder Associate Professor am Anderson Cancer Research Center, University of Texas, in Houston. In seiner Forschung konzentriert er sich auf den Hippo-Signalweg und dessen Bedeutung für Wachstum, Regeneration und Tumorentstehung.