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«Der Ball rollt»

Dezember 2024

Dies könnte man auch über das Leben von Henri Saenz sagen. Wir treffen den Bio- zentrum Alumnus in Allschwil, im Alba-Haus, 9. Stockwerk. Die Aussicht ist umwerfend, vom Schwarzwald zu den Vogesen, von den Roche-Türmen bis zum Biozentrum. Im September ist hier die Telemedizin-Anbieterin Medgate eingezogen, für die Henri Saenz seit fünf Jahren tätig ist. Wir haben mit ihm über seinen Weg von der Biologie zum Digital Health Management gesprochen.

Wie hast du zur Biologie gefunden?
Das hat sich erst ganz am Ende des Abiturs herauskristallisiert. Unser Biolehrer musste sich auf das neue Schuljahr vorbereiten und da standen erstmals molekulare Methoden wie PCR auf dem Lehrplan. Das Thema hat er quasi an uns ausprobiert. Für mich war das wie eine Erleuchtung! Ich habe gemerkt; Biologie ist viel mehr als nur Pflanzen pressen und Tiere bestimmen. 

Wie ging es weiter?
Mein Lehrer hatte in Tübingen studiert, und weil ich aus unserer kleinen Gemeinde bei Augsburg nicht nach München pendeln, sondern auf eigenen Beinen stehen wollte, bin ich in Tübingen gelandet. Im Grundstudium hatten wir dann ein verrücktes Seminar: «Der Mensch als Lebensraum». Es war ein Rundumblick auf den Menschen, von der Historie mit Alchemie bis zu den Mikroben in und auf uns. Das war so cool. Von da an wollte ich unbedingt in die Infektionsbiologie.

Du hast später tatsächlich in der Infektionsbiologie bei Christoph Dehio promoviert.
Ja, mich hat wirklich alles fasziniert, was infektiös ist. Ich habe auch meine Diplomarbeit in dem Bereich geschrieben. Danach bin ich als Praktikant zuerst dem Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie von Tübingen nach Berlin gefolgt, aber ich habe mich auch bei Christoph, der damals frisch von Tübingen ans Biozentrum gewechselt hatte, vorgestellt. Letzten Endes habe ich mich für Basel entschieden. Das ist jetzt 24 Jahre her.

Warum hast du dich nach dem PhD entschieden, die Uni zu verlassen?
Mir war nicht von Anfang an klar, was ich nach der Promotion mal machen werde. Ich habe jedoch immer stärker gemerkt, dass es mich in Richtung Editor und Projektmanagement zieht. Ich habe dann bei der «European Society of Clinical Microbiology and Infectious Diseases» (ESCMID) angefangen, welche auch eine Fachzeitschrift herausgibt. Mehr als elf Jahre war ich dort als Science Manager tätig.

Was hat dich an der Stelle gereizt?
Bei der ESCMID ging es thematisch gesehen immer noch um Infektionsforschung. Ich habe weltweit wissenschaftliche Konferenzen organisiert und dabei meine Projektmanagement Skills ausgefeilt. Mit einem kleinen Team haben wir eine grosse Community gemanagt. Das ging nur mit effizienten Tools, die wir nicht nur genutzt, sondern auch selbst weiterentwickelt haben. Das hat mir später auch den Sprung zu Medgate ermöglicht.

Was verbindet die unterschiedlichen Stellen?
Das ist mir eigentlich erst im Rückblick klar geworden. Ich bin gerne das Bindeglied zwischen Leuten unterschiedlicher Professionen, die oftmals sehr unterschiedlich kommunizieren. Die Übersetzungsarbeit zwischen den Beteiligten ist super wichtig, das ist es auch, was mich damals wie heute reizt. Als PhD-Student habe ich Kooperationen mit anderen gemanagt und jetzt bei Medgate vermittle ich zwischen Medizinern, Technikern und Software-Entwicklern.

Von Uni in die Wirtschaft ist es ein grosser Schritt. Hast du auch Momente der Unsicherheit und des Zweifelns erlebt? 
Ich finde, der Absprung aus der Uni ist unheimlich schwierig. Im Grunde genommen wird man dort für die akademische Karriere vorbereitet und für nichts anderes. Ich hatte Glück. Ein Freund hatte mich auf die Stelle bei der ESCMID aufmerksam gemacht. Doch trotz meines fachlichen Wissens war ich mir unsicher, ob ich auch leisten kann, was man von mir verlangt. Doch als Wissenschaftler ist man von Grund auf neugierig. Wenn man diese Neugierde behält und schaut, wo man sich einbringen kann, dann hilft das ungemein. Besonders, wenn man die üblichen Bahnen verlässt.

Wie vor fünf Jahren dein Wechsel zur Telemedizin.
Als ich damals bei Medgate als Projektmanager anfing, hatten wir eine Zusammenarbeit mit IBM Research für ein KI-gestütztes Sprachmodell zur Triage der Patienten. Anfangs verging keine Woche, wo ich nicht dachte: Was mache ich hier eigentlich? Die IBM-Forscher schwebten in anderen Sphären. Ich hatte bei den Meetings das Gefühl, ich bin nur der bessere Sekretär. 

Ein harter Einstieg…
Ja, aber Schritt für Schritt kommt man rein. Mein Anspruch an mich selbst war sehr hoch. Aber ich habe gelernt, dass man nicht immer alles, sondern einfach genug verstehen muss, um sinnvoll mitreden zu können.

Worum ging es genau in diesem ersten Projekt bei Medgate?
Ziel war eine bessere Triage unserer Patienten. Also sicherzustellen, dass wir einen Anrufer per Telemedizin bei uns behandeln, wenn die Chance gross ist, dass wir ihm mit der Behandlung weiterhelfen, ihn vielleicht sogar abschliessend behandeln können. Mithilfe einer vorgelagerten KI-Befragung wollten wir solche Patienten erkennen. Ein weiterer Schritt war es, dieses Triage-Modul in unsere App einzubauen. Das hiess auch, dass wir unsere App als Medizinprodukt registrieren lassen mussten. 

…und so bist du in das nächste Projekt gerutscht?
Richtig. Die Koordination und Dokumentation, das Einbinden in unsere Abläufe – das alles ist bei mir zusammengelaufen. In den Jahren bei Medgate habe ich nie länger als ein Jahr das Gleiche gemacht. Es gibt hier intern einen Spruch: Die einzige Konstante bei Medgate ist der Wandel. Um die Geschichte noch zu Ende zu bringen. Mit den neuen KI-Möglichkeiten wie ChatGPT galt unsere App schliesslich nicht mehr als Medizinprodukt. Nachdem wir es also geschafft hatten, sie zu zertifizieren, war es schon nicht mehr notwendig. Das war ziemlich frustrierend, aber ich habe dabei auch viel gelernt.

Und woran arbeitest du aktuell?
Mit der Zeit ist meine Arbeit immer IT-lastiger geworden. Seit bald zwei Jahren bin ich Product Owner in der Software-Entwicklung, anfangs im Team für unser Patienten-Management-System (PMS) und jetzt für die App. Ich lege die Anforderungen fest, die das System erfüllen muss. Wir müssen abklären, welche Features es braucht und mit dem Development-Team schauen, wie und in welche Zeitrahmen wir das umsetzen können.

Das ist wieder eine komplett neue Rolle.
Das stimmt, doch auch hier bin ich wieder der Übersetzer. Wir mussten unser PMS, das Herzstück von Medgate, neu aufsetzen. Mit diesem System arbeiten all unsere Ärzte und alle anderen Mitarbeitenden, die Kontakt mit Patienten haben, zum Beispiel im Patientenempfang. In dem PMS befinden sich die ganzen Patientenakten, die verschiedenen Krankheitsbilder, einfach alle Informationen. Es war ein Riesenprojekt und sie haben jemanden gesucht, der beim Aufbau mit anpackt. Und im Zuge der PMS-Erneuerung müssen wir nun
auch unsere App unbedingt erneuern.

Viel Arbeit also. Bleibt da noch Zeit für’s Privatleben?
Ja, das ist mir wichtig. Seitdem ich Kinder habe, arbeite ich Teilzeit. Meine frühere Partnerin habe ich übrigens am Biozentrum kennengelernt. Heute lebe ich in einer glücklichen Patchwork-Familie. Und ich spiele einmal pro Woche Fussball. Das hat sogar auch am Biozentrum angefangen.  

Inwiefern?
Es war 2001, da bin ich von einer Spielgruppe Biozentrum gegen FMI eingeladen worden. Wir haben im Schützenmattpark gegeneinander gespielt. Später ist daraus der Verein FC Schützenmatt Kickers, den ich mitgegründet habe, entstanden. Und der Ball rollt immer noch, seit nunmehr über zwanzig Jahren.

 

 

Über Medgate

Medgate wurde 1999 gegründet und betreibt seit 2000 das grösste telemedizinische Ärztezentrum Europas. Der Hauptsitz befindet sich seit September 2024 in Allschwil. Das internationale Digital Health Unternehmen hat weltweit insgesamt etwa 680 Mitarbeitende, davon 300 Mediziner. In der Schweiz arbeiten rund 140 Ärztinnen und Ärzte. Mit der Telemedizin bietet Medgate einen niederschwelligen und schnellen Zugang zum Gesundheitssystem. Per Telefon, Video oder Chat können sich Patienten 24/7 ärztlich beraten und behandeln lassen.