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Bestimm deine Geschichte ‒ vergiss deine Ängste

Nichts und niemand kann sie aufhalten. Strahlend, mit den Händen gestikulierend und lachend erzählt Natalya Izergina von ihrem Umzug von Russland in die Schweiz, ohne ein Wort Englisch geschweige denn Deutsch zu sprechen, und von ihrem Werdegang der sie von der Veterinärmedizin, über die Neurobiologie zur Personalvermittlung und schliesslich zur Firmengründung von "Recruiter‘s Advice" führte. Sie lebt ganz nach dem Motto "Nimm deine Geschichte in die Hand und vergiss deine Ängste“. 

Was hat Sie vor elf Jahren in die Schweiz geführt?

Ich wollte im Ausland arbeiten, konnte mich aber nicht entscheiden wo. Alle Länder schienen mir irgendwie furchteinflössend. Und so war die Entscheidung schnell getroffen, als mir zwei Freundinnen, die in die Schweiz gegangen waren, erzählten, dass es dort super sei. Ich habe es nie bereut. Die Leute sind hier viel entspannter und fröhlicher.

Was war für Sie die grösste Veränderung?

In Russland war ich ein Star, einfach weil ich meine Arbeit tat (lacht). Es war dann ein bisschen ein Schock, als ich merkte, dass in der Schweiz alle ihre Arbeit tun und dass ich mich viel mehr anstrengen muss, um anerkannt zu werden. Es wurde so viel mehr von mir erwartet, aber ich habe die Herausforderung angenommen. Erschwerend kam noch hinzu, dass ich kaum Englisch sprach. Meinen Lebenslauf hatte ich für mein erstes Vorstellungsgespräch auswendig gelernt und auch für meine ersten Präsentationen am Biozentrum in Englisch musste ich ganz schön pauken. Ich bin Heinrich Reichert, der damals mein Chef war, noch immer dankbar. Er ist ein begnadeter und freier Redner und ich bat ihn um einen Tipp. Seine Antwort hat mich umgehauen. "Das ist alles eine Frage der guter Vorbereitung." Ich halte mich noch heute daran und inzwischen liebe ich es, Vorträge zu halten. 

Und wie war es, am Biozentrum in die Wissenschaft einzutauchen?

Von meinem Studium der Veterinärmedizin war ich es gewohnt, Publikationen wie Bücher zu lesen und mir das Wichtigste zu merken. Hier wollte man plötzlich, dass ich diese kritisch hinterfrage und auf ihre Schlüssigkeit prüfe. Auch musste ich lernen, die richtigen Fragen zu stellen. Da schwebt einem zum Beispiel für sein Projekt ein glänzendes Resultat vor, aber wie um alles in der Welt kommt man dort hin? Die Zeit am Biozentrum hat wirklich eine Wissenschaftlerin aus mir gemacht und obwohl ich inzwischen nicht mehr in der Wissenschaft tätig bin, steckt sie noch ganz in mir drin.  

Sie haben ursprünglich Veterinärmedizin studiert. War es für Sie je eine Option Tierärztin zu werden oder wollten Sie schon immer in die Wissenschaft?

Das kam Schritt für Schritt. Ich interessierte mich insbesondere für Infektionskrankheiten und begann in einem grossen Animal Health Pharmaceutical Unternehmen in Vladimir auf dem Gebiet der Tollwut zu arbeiten. Tollwut ist immer noch sehr verbreitet, vor allem in den Wäldern am Rande Russlands oder in Indien. Tausende Menschen werden jährlich gebissen und sterben, falls sie nicht rechtzeitig geimpft wurden. Das motivierte mich sehr. Die Idee war, zunächst für diagnostische Zwecke, später falls möglich auch für die Behandlung, Antikörper gegen das Virus zu entwickeln. Das Unternehmen – übrigens früher eine Entwicklungsstätte für biologische Waffen gegen Tiere – war jedoch auf die kommerzielle Produktion von Impfstoffen ausgerichtet und verfügte nicht über die technische Ausstattung für solche Untersuchungen. Daher schickte mich mein Chef, dem meine Begeisterung aufgefallen war, nach Puschtschino, um dort zuerst während vier Monaten Molekularbiologie und Genetik zu studieren. Danach klapperte ich auf der Suche nach einer Möglichkeit, Erfahrung zu sammeln, zahlreiche Labors ab. Schiesslich bot mir ein Laborleiter eine attraktive Kollaboration an, welche ich glücklich annahm. 

Und wie war der Schritt vom medizinischen ins molekularbiologische Labor?

Riesig. Ich musste alles von der Pike auf lernen, sogar wie man einen Pipette hält. Ich blieb für eineinhalb Jahre. Danach gab es kein Zurück, denn ich fühlte mich wie eine versierte Wissenschaftlerin und wollte nicht wieder in die Medizin abtauchen. Auch Puschtschino selbst hatte mich beeinflusst. Es ist ein bekanntes Zentrum der Biologie mit acht wissenschaftlichen Instituten, eine kleine Stadt, in der fast nur Wissenschaftler leben. 

Nach zehn Jahren in der Wissenschaft kehrten Sie ihr den Rücken und wurden Personalvermittlerin. Warum?

Aus zwei Gründen. Einerseits ist man als Wissenschaftler ziemlich auf sich gestellt und ich habe während meiner Doktorarbeit gemerkt, dass mir das Zusammenarbeiten mit anderen Menschen am meisten Spass macht. Andererseits, fühlte sich die Wissenschaft auch ziemlich abstrakt an und ich wollte nicht mehr nach einem Jahresplan ohne konkretes Ende arbeiten, sondern meinen Arbeitsrhythmus erhöhen und tägliche Ziele erreichen. Ich habe mich bei zahlreichen Personalvermittlungs-Agenturen beworben, aber mit einem PhD und ohne Erfahrung war das ein ziemlich zäher Prozess. Schliesslich fing ich dann bei IPS Life Sciences an.

Was waren Ihre Aufgaben bei IPS Life Sciences?

Am Anfang habe ich vor allem Wissenschaftler für pharmazeutische Unternehmen rekrutiert. Und obwohl mein Chef zunächst so seine Zweifel an meiner Qualifikation hatte, war ich ein guter Match, weil ich die wissenschaftlichen Profile verstand. Dann wurden die Auflagen für die Pharmaindustrie verschärften und als Folge die Quality Assurance Departemente der Firmen ausgebaut. Also fing ich damit an, Quality Assurance, dann auch Regulatory Affairs Spezialisten, schliesslich  Ingenieure auf dem Gebiet der Automatisierung und Validierung, Texter und viele andere einzustellen. Also musste ich mein Wissen auf den gesamten Lebenszyklus eines Arzneimittels ausweiten und, um die richtigen Leute zu rekrutieren, Dinge wie die Module eines regulatorischen Dossiers oder die Vorgaben bezüglich Luftsterilität bei einer Produktionsstätte verstehen lernen. Es war spannend, lustig und sehr intensiv, aber nach vier Jahren wollte ich mich weiterentwickeln.

Sie haben Anfang 2016 Ihre eigene Firma zur  Beratung von Stellensuchenden gegründet. Haben Sie die Seiten gewechselt?

Nein, gar nicht. Die Beratung von Stellensuchenden war auch schon vorher Teil meiner Arbeit. Ich hatte bei IPS angefangen deren CVs zu bereinigen und war richtig gut darin. Ich konnte den Prozentsatz von Kandidaten, welche zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurden, von anfänglich 17% auf 29% steigern. Auch half ich ihnen sich auf das Vorstellungsgespräch vorzubereiten. Man kann den Leuten zwar nicht die richtigen Worte in den Mund legen, aber man kann ihnen aufzeigen, was sie erwartet. Nehmen Sie zum Beispiel den so genannten „Elevator Pitch“: Dabei müssen Sie sich vorstellen, Ihren künftigen Chef im Aufzug zu treffen und genau 30 Sekunden Zeit zu haben, ihm zu erklären, wer Sie sind. Das müssen Sie sorgfältig vorbereiten und Ihren persönlichen „Brand“ entwickeln. Ich liebte diesen Teil meiner Arbeit. Und so entschied ich mich nach reiflicher Überlegung, Beraterin zu werden. Es gibt ein grossartiges Buch mit dem Titel "Strengthfinder 2.0". Es vertritt die Theorie, dass man einfach auf seine Stärken bauen und sich viel weniger mit seinen Schwächen aufhalten sollte. Dass man einfach vorwärtsgehen und das tun soll, was man am besten kann.

Was war die grösste Herausforderung bei der Gründung Ihrer Firma "Recruiter’s Advice"?

Sie tatsächlich zu gründen. Zu entscheiden, dass ich das wirklich will. Die Idee hat schon seit langem wie ein Traum in der Luft gehangen. Ich hatte oft mit Herzblut und meiner ganzen wissenschaftlichen Strukturiertheit Workshops für Stellensuchende veranstaltet. Nicht, um davon zu leben, sondern einfach weil es mir Spass machte. Sie waren sehr gut besucht, und ich habe sehr viel begeistertes Feedback erhalten. Und es war faszinieren. Sobald wir – ein ehemaliger Kollege von IPS und ich – uns entschieden hatten, kam eines zum andern. Der ursprüngliche Plan war, dass ich die Workshops weiterführen und wir beide Stellensuchende beraten würden. Aber dann dachten wir, na ja, mit unserem Wissen könnten wir unsere Dienstleistungen auch Unternehmen, die sich in einer Umstrukturierung befinden, anbieten. So addierte sich nach und nach alles zu unserem umfassenden Unternehmensportfolio zusammen. Die Herausforderung des ersten Jahres ist es nun, die Pakete unserer Dienstleistungen richtig zu schnüren, und im Mai findet bereits unser erster grosser Workshop statt. Und ich bin wirklich glücklich, mich ganz auf meine Stärken konzentrieren zu können.

 

Lebenslauf 

Natalya Izergina hat in Russland an der Ivanovo State Agricultural Academy Veterinärmedizin studiert. Danach arbeitete sie in einem Animal Health Pharmaunternehmen und studierte am Biological Educational Center in Puschtschino südlich von Moskau, wo sie 2003 in Molekularbiologie und Genetik graduierte. 2005 kam sie in die Schweiz. Auf ein Praktikum an der Universität Zürich folgte ein PhD-Studium in Neurobiologie am Biozentrum. Nach ihrem Doktorat in 2009 wechselte sie ans Friedrich Miescher Institut, hatte jedoch bereits ihr Interesse für die Personalvermittlung entdeckt. Mehrere Jahre arbeitet sie bei IPS Life Sciences, einer auf die Pharmaindustrie ausgerichteten Personalvermittlungs-Agentur, als Recruitment Specialist. Anfang 2016 gründete sie zusammen mit einem früheren Arbeitskollegen die Firma „Recruiter’s Advice“, welche sich auf das Coaching von Stellensuchenden spezialisiert hat.