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«Vieles hat sich einfach so ergeben»

Mai 2022

Vor vier Jahren war Alumninews bereits in Kontakt mit Britta Hartmann. Zu dieser Zeit stand sie jedoch gerade vor beruflichen Veränderungen. Heute ist die Biologin Leiterin der Abteilung für Medizinische Genetik am Kantonsspital in Aarau. Im Interview erzählt sie von ihrem Lebensweg, wie sie von der Entwicklungsbiologie zur Humangenetik kam, und wie Genosse Zufall ihrer Karriere immer wieder eine neue Wendung gab.

Du arbeitest als Humangenetikerin am Kantonsspital Aarau (KSA). Was sind dort deine Aufgaben?
Ich leite dort die Abteilung für Medizinische Genetik mit einem Team von 17 Mitarbeitenden. Neben den damit verbundenen Führungsaufgaben ist ein grosser Teil meiner Arbeit genetische Befunde zu erstellen, zu prüfen und herauszugeben. Und ich bin für die strategische Ausrichtung verantwortlich. Meine Abteilung besteht aus drei Bereichen, der Zytogenetik, der Molekulargenetik sowie der genetischen Beratung. Letzteres kann jedoch nur der Arzt machen. Die gesamte Diagnostik jedoch übernehmen wir FAMH-Fachspezialisten. 

Was verbirgt sich hinter dem Kürzel FAMH?
Die Abkürzung steht für Foederatio Analyticoum Medicinalium Helveticorum. Der Titel Laborspezialist FAMH ist im Grunde ein Pendent zum Facharzt, allerding für den Laborbereich. Alle Mediziner und Naturwissenschaftler mit einem abgeschlossenen Studium können die Weiterbildung berufsbegleitend absolvieren. Insgesamt dauert die Qualifikation zum FAMH medizinische Genetik vier Jahre.

Und was beinhaltet diese Ausbildung?
Zum einen sind es praktische Dinge. Man arbeitet im Labor einen ganzen Katalog von Fällen ab, der sich aus unterschiedlichen Fragestellungen der Humangenetik zusammensetzt. So muss man eine vorgegebene Anzahl an Sequenzierungen oder Chromosomenanalysen durchführen und vor allem interpretieren und man lernt worauf es in einem akkreditierten Labor ankommt. Hinzu kommen theoretische Aspekte wie das Abrechnungswesen, die Rechtsprechung, das Diagnostikgesetz etc. In meiner Abteilung machen gerade drei Biologen die Ausbildung zum FAMH. Sie interpretieren die genetischen Daten, schreiben Befunde und Kostengutsprachen, prüfen, ob die Aufträge vollständig sind oder gültige Einverständniserklärungen vorliegen. Das ist «learning on the job».

Welche Fragestellungen bearbeitet ihr?
Ein Schwerpunkt ist die Keimbahndiagnostik, also Erbkrankheiten wie das erbliche Brust-und Eierstockkrebssyndrom. Methodisch sind wir dort sehr breit aufgestellt, es geht bis zur Exom-Sequenzierung. Damit analysieren wir nur die Genabschnitte, die auch für ein Protein kodieren. Es sind zwar nur ein bis zwei Prozent des gesamten Genoms, aber wir können damit ca. 85 Prozent der krankheitsrelevanten Genmutationen erfassen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Genetik der hämatologischen Neoplasien, darunter fallen die verschiedensten Formen von Leukämien. Wir bestimmen das genetische Profil der Krebszellen. Zusammen mit anderen diagnostischen Parametern kann der Onkologe anhand dieses Profils eine Prognose erstellen, also ob die Leukämie aggressiv ist oder eher einen langsamen, chronischen Verlauf nimmt. Davon hängt schliesslich die Therapie ab. 

Hast du ein Beispiel dafür?
Recht bekannt ist das Philadelphia-Chromosom, bei dem ganze Abschnitte umgelagert sind, sich also nicht dort befinden, wo sie eigentlich sein sollten. Von der Art der Umlagerung lässt sich auf die Schwere des Krankheitsverlaufs schliessen. Bei einer schlechten Prognose muss der Patient so schnell wie möglich eine Stammzelltherapie bekommen.

Siehst du  die Patienten manchmal auch persönlich?
Eigentlich nicht. Wenn es sich um Erbkrankheiten handelt, bin ich ab und an mal bei einem Beratungsgespräch dabei. Für die Patienten ist es häufig schwer zu verstehen, wenn es heisst, wir untersuchen ein Gen oder wir haben eine Genvariante entdeckt, deren Bedeutung wir nicht kennen. Und wenn Genveränderungen in der Keimbahn auftreten, muss man natürlich daran denken, dass diese an die Nachkommen weitervererbt werden. Da ist es wichtig zu wissen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit dafür ist. 

Du warst jahrelang in der Forschung tätig. Ist das auch jetzt noch ein Thema?
Nein, nicht wirklich. Die Ausnahme ist, wenn wir einen besonders interessanten Patienten haben, dann machen wir mit den Ärzten in der Klinik eine Fallstudie. Wir verfolgen beispielsweise, ob noch andere Familienmitglieder betroffen sind und ob es zwischen Mutation und Krankheit einen Zusammenhang gibt.

Würdest du  gerne wieder mehr forschen?
Nach den vielen Jahren in der Diagnostik ist das nicht mehr aktuell. Ich fand es immer spannend zu forschen, aber man kommt nie zu einem Ende und es interessiert meist nur einen kleinen Kreis an Ausgewählten. Jetzt in der Diagnostik ist es anders. Meine Arbeit und ihre Bedeutung versteht jeder.

Du hast bei Markus Affolter promoviert. Wie kamst du überhaupt ans Biozentrum?
Wie der Zufall so spielt. Am Ende des Studiums in Freiburg mussten wir ein Laborpraktikum machen. Ich hatte einen Platz in der Neurobiologie bekommen. Mein Betreuer war damals Patrick Callaerts aus dem Labor von Walter Gehring, der in Freiburg gerade ein Sabbatical machte. Er ging kurze Zeit später nach Houston in die USA. Und da das Projekt so gut lief und wir uns super verstanden, bin ich für die Diplomarbeit kurzerhand mitgegangen. Mir gefiel das Forschen so gut, dass mir schnell klar war, dass ich noch einen PhD anhängen würde. Und dann meinte Patrick, du, der Markus im Nachbarlabor von Walter Gehring ist gerade dabei seine Gruppe aufzubauen. Und so habe ich mich bei Markus vorgestellt und kurz danach bei ihm als Doktorandin angefangen. 

Wie ist dir die Zeit in Erinnerung geblieben?
Es war wirklich grossartig. Vielleicht sagt das jeder, aber ich hatte so richtig Glück. Bei Markus hatten zusammen mit mir viele Neue angefangen. Alle waren enthusiastisch und mit Herzblut dabei und Markus war ein super Betreuer. Das waren Vollblutforscher. Viele von damals leiten heute eine eigene Gruppe. Auch meinen Partner Giorgos Pyrowolakis habe ich bei Markus im Labor kennengelernt. Die Zeit in Basel war unglaublich schön und intensiv. Ich habe das Kulturleben voll ausgekostet, habe Tango getanzt und kannte alle möglichen Leute am Theater. Ich hatte einen grossen, bunten Freundeskreis.

Hast du nach dem Verlassen des Biozentrums den Kontakt gehalten?
Giorgos ist Forschungsgruppenleiter an der Universität Freiburg und hat heute noch gemeinsame Projekte mit Markus. Daher ist der Kontakt all die Jahre nie abgebrochen. Und seitdem ich in Aarau arbeite, treffe ich mich gelegentlich mit Markus’ ehemaligen Sekretärin, Liliane Devaja, die nicht weit von Aarau im Jura wohnt.

Nach vielen Jahren in der Forschung hast du ihr schliesslich doch den Rücken gekehrt. Warum?
Das war keine bewusste Entscheidung. Nach meiner Promotion war ich Postdoc am Centre for Genomic Regulation in Barcelona und forschte danach für einige Jahre als unabhängige Wissenschaftlerin an der Uni Freiburg. Zu dieser Zeit wurde an der Fakultät für Biologie eine neue Genomics Facility eröffnet und ein Leiter für die Sequenzierungen gesucht. In einer Nacht-und Nebel-Aktion habe ich mich dort beworben. Giorgos und ich hatten uns, wie in der Forschung so üblich, von Zwei-Jahres-Vertrag zu Zwei-Jahres-Vertrag gehangelt. Mit Familie ging das für mich immer schlechter zusammen. Ich dachte, wenigstens einer von uns braucht einen stabilen Job. 

Und hast du die Stelle bekommen?
Es ging alles ruck-zuck. Nur eine Woche später war ich beim Vorstellungsgespräch. In dem Komitee sass auch die Chefärztin vom Institut für Humangenetik. Nach dem Bewerbungsgespräch hat sie mich beiseite genommen und gefragt, ob ich nicht bei ihr die Leitung der Molekularen Diagnostik übernehmen möchte. Vier Wochen später habe ich dort angefangen. Das war überhaupt nicht so geplant.

Mit Humangenetik hattest du vorher ja nichts am Hut. Wie lief es?
Das war ein Sprung ins kalte Wasser. Dass die ehemalige Leitung zu dem Zeitpunkt als ich anfing schon weg war, machte es nicht einfacher. Ich stand also Montagmorgen in meinem neuen Büro, die ersten Befunde lagen auf dem Schreibtisch und es hiess, die müssen jetzt raus. Aber ich hatte ein tolles Team, das mir den Einstieg sehr erleichtert hat. Mir hat es dann ziemlich schnell auch viel Freude bereitet dort zu arbeiten. Ich passte gut auf die Stelle. In der Forschung habe ich gelernt zu organisieren und zu planen. Und ich bin akkurat, halte mich an Deadlines und kann gut pragmatische Entscheidungen treffen. Das ist alles sehr hilfreich.

Dennoch bist du nicht dort geblieben. Wie ging es weiter?
Nach vier Jahren habe ich an ein anderes Humangenetik-Institut gewechselt. Als es von einer Firma aufgekauft wurde und Umstrukturierungen anstanden, stimmte für mich das Klima nicht mehr. So entschloss ich mich aufzuhören. Ich habe ein dreiviertel Jahr pausiert. Ich wollte Abstand gewinnen, mich neu sortieren und überlegen, was ich eigentlich will; und mal mehr Zeit mit der Familie verbringen. In dieser Zeit habe ich meine Ausbildung zum Fachhumangenetiker in Deutschland beendet. Sie ist ein äquivalent zum Schweizer FAMH. Da man mit diesem Titel in der Schweiz viel mehr Verantwortung und Handlungsspielraum hat und es in Freiburg keine Stelle gab, habe ich mich kurzerhand beim Kantonsspital Aarau auf eine Oberassistenzstelle beworben. Und dann hat der Zufall wieder zugeschlagen.

Inwiefern?
Ich war vielleicht zehn Tage da und dann verabschiedete sich die leitende Person. Als ich gefragt wurde, ob ich die Leitung der Abteilung übernehmen möchte, habe ich zugesagt.

Liegt es dir ein Team zu leiten?
Ich glaube, ich habe ein ziemlich gutes Gespür für die Stärken und Schwächen meiner Mitarbeitenden. Entsprechend setze ich sie ein. Alle arbeiten gerne und machen, wenn nötig, auch einen extra Handgriff. Unser Team ist stabil, allen gefällt es. Das gibt mir ein gutes Gefühl. Vor kurzem musste ich das Labor umstrukturieren, Abläufe umstellen und Prozesse optimieren. Da haben mir meine ganzen Erfahrungen und Herangehensweisen aus der Forschung natürlich sehr geholfen.

Curriculum vitae
Seit 2019 leitet Britta Hartmann die Abteilung für Medizinische Genetik am Kantonsspital Aarau. Die studierte Biologin promovierte im Jahr 2005 am Biozentrum in der Gruppe von Prof. Markus Affolter. Nach einem Postdoc am «Centre for Genomic Regulation» (CRG) in Barcelona forschte sie als unabhängige Wissenschaftlerin an der Universität Freiburg (Deutschland). 2012 übernahm sie zuerst die Leitung des Labors für Molekulare Diagnostik am Institut für Humangenetik der Universitätsklinik Freiburg und später am SYNLAB MVZ Freiburg.