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Keine Angst vor Konflikten

Dezember 2020

Sieben verschiedene Länder, sieben unterschiedliche Kulturen. Hilde Janssens hat erlebt, wie unterschiedlich die Menschen miteinander kommunizieren. Und doch, gewisse Probleme sind überall gleich. Mit guter Kommunikation und mehr Verständnis für den anderen liesse sich so mancher Konflikt schnell lösen und, davon ist die Biozentrum Alumna überzeugt, auch die Forschungskultur zum Besseren verändern.


Du arbeitest am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) als Good Practice Officer. Was ist deine Aufgabe?
Meine beiden grossen Themen sind «Diversity & Inclusion» sowie Konfliktmanagement. Dass Konfliktlösung an einer wissenschaftlichen Institution angeboten wird, ist heutzutage noch sehr selten. Ich habe diesen Bereich hier am IST aufgebaut, mit der Idee, dass wir Konflikte so schneller entdecken und, noch bevor sie eskalieren, entschärfen können. Von Seiten der Mitarbeitenden gab es das Bedürfnis, sich bei Problemen vertrauensvoll an jemanden wenden zu können. 

Was gefällt dir besonders gut an deiner Arbeit?
Der Kontakt zu anderen Menschen ist für mich wahnsinnig schön und extrem bereichernd. Das war auch einer der Gründe, warum ich mich entschieden habe, nach beinahe zwanzig Jahren die Forschung zu verlassen. Die Lösung von Konflikten ist für mich fast wie ein wissenschaftliches Problem. Die Beteiligten schaffen es nicht mehr miteinander zu reden. Meine Aufgabe ist es, als unabhängige Dritte, die Konfliktparteien zurück an einen Tisch zu bringen, so dass sie wieder ins Gespräch kommen. Die Frage ist, was braucht jeder Einzelne und wie kann man die unterschiedlichen Bedürfnisse zusammenbringen? Es ist wie ein Puzzle. 

Zwanzig Jahre in der Forschung ist eine lange Zeit. Wie kam es zum Richtungswechsel?
Ich habe in sieben verschiedenen Ländern gelebt, in Belgien, der Schweiz, den USA, England, Spanien, Deutschland und jetzt in Österreich. Mir ist aufgefallen, dass gewisse Probleme überall auftauchen und häufig liegt es an der Kommunikation. Das bremst die Wissenschaft aus. Als mein Partner Forschungsgruppenleiter in Barcelona war, hatte er einen Kurs in «Leadership & Communication» besucht und meinte zu mir: «Hilde, das würde dir wahnsinnig gut gefallen, da musst du auch unbedingt teilnehmen.» Der Kurs war ein Schlüsselereignis. Ich habe dann selbst angefangen Kurse für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu geben, zum Thema Leadership, Interpersonal Communication, Self-Leadership für Frauen in der Wissenschaft, Implicit Bias und Gender Equity in Science, für verschieden Institute und Organisationen in Europa, wie zum Beispiel für die EMBO. Und ich habe zwei Kurzfilme über diese Thematik produziert, einen davon verwendet sogar der Europäische Forschungsrat ERC. 

Sich so etwas ohne Ausbildung zuzutrauen ist bemerkenswert. Wie hast du dir das Wissen angeeignet?
Angefangen hatte es mit «Ich gebe mal einen Kurs und schaue, wie der ankommt». Dafür habe ich viel Material zusammengetragen, viel gelesen und natürlich sind da auch meine Erfahrungen als Frau in der Wissenschaft eingeflossen. Eigentlich haben mich solchen Themen schon immer interessiert. Ich konnte mich in den Anfängen des Studiums lange nicht zwischen Biologie und Psychologie entscheiden. Jetzt kann ich beide Interessen wieder schön zusammenbringen. 

Was braucht es, damit wir besser kommunizieren?
Austausch und Verständnis für den anderen. Und lernen miteinander auf Augenhöhe zu reden. Mir fällt auf, dass die Leute heutzutage keine schwierigen Gespräche mehr führen können, heikle Themen ansprechen oder es aushalten, wenn jemand anderer Meinung ist. Das überrascht mich immer wieder. 

Woran liegt das?
Wir kommunizieren heute viel schriftlich, per E-Mail oder Social Media, aber immer weniger im persönlichen Gespräch. Leider wird in das Geschriebene viel hineininterpretiert, man liest das, was man erwartet. Jemanden vor sich zu haben, ist etwas ganz anderes. Viele haben Mühe zu sagen: «Hör mal, wir beide haben ein Problem, irgendetwas läuft nicht gut». Ich bin überzeugt, die meisten Probleme liessen sich schnell ausräumen, wenn wir offen und respektvoll miteinander reden. Dafür gibt es gute Kommunikationstricks und ein paar Prinzipien, an die ich mich halte, zum Beispiel aus der ICH-Perspektive zu erzählen, das entspannt die Situation.

Du sagst auch, die Forschungskultur muss sich ändern. Was meinst du damit?
Man wünscht sich zwar Diversität, aber am Ende sind es dann doch die Personen mit einem ähnlichen Mind-Setting, die das Rennen gewinnen. Dadurch verliert man eine Vielfalt an intelligenten Persönlichkeiten, die eine offene Forschungskultur extrem bereichern würden. Auch in Bezug auf die Forschungsthemen geht die Vielfalt verloren. Das ist auch eine Frage der Verteilung von Forschungsgeldern. Da werden eher wenig Risiken in Kauf genommen, man setzt lieber auf Altbekanntes, seien es die Themen oder Personen. Die Freiheit der Forschung geht meiner Meinung dadurch verloren.

Hast du eine Idee, wie man das verändern könnte?
An einer online Konferenz über Geschlechterrollen in der Wissenschaft haben wir kürzlich wieder über eine Lotterie für Grants diskutiert. Man zieht je fünf super Anträge von Frauen und Männern und die bekommen dann die Fördermittel. Das würde ich wahnsinnig spannend finden. Die Volkswagen-Stiftung in Deutschland vergibt schon ein Teil ihrer Fördergelder über so ein Lotterie-System, hier in Österreich hat der FWF mit «1000 ideas» damit angefangen. Und die Grenzen zwischen den Disziplinen aufzulösen, fände ich wichtig. Wir sind eine Gesellschaft und haben Fragen, die von unterschiedlicher Seite angegangen und beantwortet werden sollten. 

Nach dem Studium in Belgien bist du 1995 ans Biozentrum gekommen. Wie kam das?
Jedes Jahr hatte ein Belgier, der Postdoc im Labor von Walter Gehring war, an unserer Uni einen Intensivkurs über Drosophila gegeben. Ich fand das wahnsinnig spannend und dann meinte er, ich solle doch für die Doktorarbeit nach Basel kommen. Anfangs war ich nicht so sicher. Doch ein paar Monate später, ich war gerade in der Schweiz zum Skifahren, bin ich einfach bei Walter Gehring vorbeigegangen und habe mich persönlich vorgestellt. Nach dem Gespräch sagte er: «Sie können nächstes Jahr bei mir anfangen.» So einfach war das damals. Aber die Zeit im Gehring Lab war dann umso intensiver. Lustigerweise ist mir heute Morgen gerade eine nette Geschichte in den Sinn gekommen.

Ich bin gespannt...
Seine Doktoranden hat Walter immer gesiezt. Erst nach der Verteidigung der Doktorarbeit war man auf Augenhöhe. Von da ab durfte man sich duzen und mit Vornamen anreden. Bei einem meiner PhD-Komitee-Vorträge musste ich ihn wohl beeindruckt haben, denn er ist danach zu mir gekommen und hat mir das Du angeboten. Ich fand das gleich merkwürdig. Anderthalb Stunden später kam ich ins Labor, wo Walter sich gerade um die Fliegen kümmerte, da sagte er zu mir: «Übrigens auf Deutsch möchte ich schon noch, dass du Sie sagst.» Er hatte das Angebot von vorher schon bedauert. Ich habe ihn weiterhin mit Herr Gehring angesprochen. Und am Ende meiner PhD-Prüfung, genau wie bei ihm Tradition war, hat er mir die Hand geschüttelt und gesagt: «By the way; I am Walter. 


Curriculum vitae
Hilde Janssens arbeitet als Good Practice Officer am Institute of Science and Technology Austria und nebenbei als selbstständige Kommunikationstrainerin. Die gebürtige Belgierin kam nach dem Biologiestudium ans Biozentrum und promovierte 1999 in der Gruppe von Prof. Walter Gehring. Mehrere Forschungsaufenthalte führten die Wissenschaftlerin an verschiedenen Institutionen weltweit. Ihr langjähriges Interesse für Leadership und Communication hat sie anschliessend zum Beruf gemacht. Hilde Janssens lebt mit ihrem Mann, zwei Söhnen und zwei Katzen in Klosterneuburg.