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Die Grenzgängerin

Mai 2017

Grenzen sind für sie kein Hindernis, sondern zum Überschreiten da. Schon seit Kindesbeinen lebt Kathrin Thedieck an offenen Grenzen. Das hat ihr Selbstverständnis als Europäerin geprägt. Dass die Biozentrum Alumna nun über die niederländisch-deutsche Grenze hinweg lebt und forscht scheint daher nur eine logische Konsequenz. Als Professorin für «Metabolic Signaling» überschreitet sie mit Begeisterung die Grenzen zwischen zwei Gebieten: Metabolismus und Kinase-Signalnetzwerken. 

Sie arbeiten an der European Medical School. Was reizt Sie an der länderübergreifenden Forschung?

Das ist meine erste Professur und das Ganze ist wahnsinnig spannend. Da noch nicht so viele Strukturen existieren, habe ich einen grossen Gestaltungsspielraum. Ich lerne viel darüber, was eine Fakultät ausmacht und wie die Gremien dies- und jenseits der Grenze arbeiten. Im Vergleich zu der Dreiländerregion um Basel, wo der grenzüberschreitende Austausch schon seit Jahrzehnten gepflegt wird, stehen wir hier noch ganz am Anfang. Die Grenze ist in vielerlei Hinsicht noch eine richtige Grenze und es gibt viele praktische Hürden für mein Mitarbeitenden beiderseits der Grenze. Falls es mit der Wissenschaft doch nicht klappen sollte, mache ich hier ein Grenzgängerbüro auf (lacht).

Geht das auch über rein praktische Hürden hinaus?

Auf jeden Fall. Nehmen wir nur den Umgang mit kulturellen Unterschieden. Als Basler oder Lörracher weiss man ziemlich gut, dass die andere Seite anders kommuniziert, auch wenn man mehr oder weniger dieselbe Sprache spricht. Im Norden ist das genauso, aber vielen nicht so bewusst. Mit meinen Erfahrungen bin ich manchmal echt als interkultureller Mediator gefragt. Meine Zeit in der Region Basel hat mich auf die Herausforderungen hier gut vorbereitet. 

Sie forschen nun schon seit Ihrer Zeit als Postdoc in der Gruppe von Mike Hall an mTOR...

Ja, es hat mich nicht mehr losgelassen. In diesem Sinne hat das Biozentrum meine weitere wissenschaftliche Ausrichtung stark geprägt. Im Augenblick beschäftigen wir uns mit Stress-Netzwerken rund um mTOR. Genauer gesagt damit, welche Inputs aktivierend oder inhibierend sind und wie dadurch beispielsweise die Wirkung von Arzneimitteln beeinflusst wird. Zum anderen erforschen wir den Crosstalk zwischen verschiedenen Signalnetzwerken sowie das Wechselspiel zwischen Metabolismus und Signalweiterleitung. Dies war auch einer der entscheidenden Gründe an die EMS zu gehen. 

Inwiefern?

In Groningen bin ich in die Kinderheilkunde eingebettet. Dort haben wir einen starken Fokus auf angeborene Stoffwechselstörungen. Bei uns werden Kinder mit einer seltenen Stoffwechselerkrankung detailliert metabolisch charakterisiert. Mich interessiert besonders, wie wir unsere computergestützten Signaling-Modelle mit metabolischen Modellen verknüpfen können um neue Therapieansätze zu entwickeln. Schon anhand der mathematischen Modelle sieht man, dass Forscher im Signaling-Feld ganz anders denken als jene im Metabolismus-Feld. Dies zusammenzubringen ist eine spannende Herausforderung. In den Neurowissenschaften an der Universität Oldenburg bin ich ganz nah an der Anwendung unserer Forschungsergebnisse, denn Störungen des mTOR-Signalweges, wie beispielsweise bei der seltenen genetischen Erkrankung Tuberöse Sklerose, können schwere neurologische Auswirkungen bis hin zur Epilepsie haben. Die neurologischen Effekte von mTOR sind bis jetzt noch vergleichsweise wenig erforscht, da öffnet sich gerade ein neues, interessantes Feld.

Was ist Ihnen als Forschungsgruppenleiterin wichtig? 

Das Team steht für mich im Zentrum. Meine Mitarbeitenden sollen sich als Team fühlen, zusammenarbeiten und zusammenstehen, auch und gerade wenn es mal haarig wird. Das liegt daran, dass ich selbst am besten in einem Umfeld forschen kann, in dem ich mich wohl und wertgeschätzt fühle. Es ist für mich deshalb elementar mit positiver Motivation zu arbeiten, aber durchaus auch kritisch und mit einem hohen Anspruch. Was mir auffällt, ist, dass ich insgesamt lange mehr weibliche Bewerberinnen hatte. Das liegt vielleicht am Rollenvorbild. Seitdem wir mit hochrangigen Publikationen sichtbar geworden sind, nimmt die Zahl der männlichen Bewerber interessanterweise deutlich zu. Das deutet darauf hin, dass Männer und Frauen ihre Karriereentscheidungen nach unterschiedlichen Kriterien treffen. 

Sie selbst haben einen Sohn. Wie schwierig ist es, Familie und Karriere unter einen Hut zu bringen?

Das ist schon hart. Gerade am Anfang, als mein Sohn noch klein war, kam ich manchmal an meine Belastungsgrenze. Daher muss man sich wirklich genau überlegen, ob man diesen Weg für sich als sinnvoll erachtet. Für meine Mitarbeiterenden versuche ich natürlich, die bestmöglichen Bedingungen zu schaffen, aber ich sage ihnen auch ganz offen, was eine Forscherkarriere bedeutet und dass es absolut legitim ist, eine andere Entscheidung zu treffen. Das wichtigste, was man mit Kindern braucht, ist Flexibilität bei der Arbeit. Denn Familie passt in kein Schema. 

War die Biologie schon von Anfang an Ihr Steckenpferd?

Nicht ganz. Nach meiner Schulzeit stand die Entscheidung zwischen Kunst und Biologie im Raum. Ich dachte damals aber, ich studiere lieber eine Naturwissenschaft, die kann ich mir schlecht selber beibringen, während ich mich auch so für Kunst interessieren kann, ohne Studium. Das war zumindest teilweise ein Trugschluss. Gleichzeitig ist es aber so, dass ich viele Aspekte der Kunst in der Naturwissenschaft wiederfinde. Dieses kreative Moment gibt es bei beidem. Die Kunst ist nach wie vor ein wichtiger Aspekt meines Lebens, aber momentan verfolge ich sie eher passiv. Das fällt in Groningen nicht schwer, denn dort gibt es eine sehr aktive Künstlerszene.

Finden Sie noch Zeit Neues zu wagen?

Ja, gerade erst im vergangenen Jahr. Ich war zu einem Vortrag nach Montreal in Kanada eingeladen und habe dort zum ersten Mal eine Schlittenhundefahrt gemacht. Und seit neuestem ist Motorradfahren mein Hobby (lacht). Es hat eigentlich damit angefangen, dass ich Niederländisch lernen wollte. Also habe ich mit einem niederländischen Fahrlehrer Motorrad fahren gelernt. Für meinen Lehrer bedeutete es Schwerstarbeit, da ich beides nicht konnte. Ich glaube, manchmal hatte er sogar ein bisschen Angst. Ich hatte es vorher gar nicht so erwartet, aber Motorradfahren ist eine grosse Leidenschaft geworden. Und Niederländisch spreche ich inzwischen recht gut, wenn auch mit deutschem Akzent.

 

Lebenslauf

Kathrin Thedieck ist seit 2013 Associate Professor am University Medical Center Groningen (UMCG) und der European Medical School (EMS), einem Kooperationsprojekt der niederländischen Reichsuniversität Groningen und der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg in Deutschland. Nach dem Abschluss ihres Studiums an der Ecole Supériore de Biotechnologie Strasbourg promovierte Kathrin Thedieck am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig. Von 2006 bis 2008 forschte sie als Postdoktorandin am Biozentrum und anschliessend als Forschungsgruppenleiterin für Functional Proteomics of Metabolic Signaling an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau.